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Die irische Signora

Die irische Signora

Titel: Die irische Signora Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maeve Binchy
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Zeiten hätte das das Ende seiner Laufbahn bedeutet, ganz zu schweigen von Aussichten auf eine Beförderung. Noch in den sechziger Jahren war jeder Lehrer, der außereheliche Beziehungen unterhielt, sofort entlassen worden. Natürlich war das nicht richtig gewesen; gegen diese Regelung waren sie damals auch alle auf die Barrikaden gegangen. Aber daß ein Mann nie eine feste Bindung einging, die Frauen reihenweise in seinem Stadthaus vernaschte und trotzdem als künftiger Direktor in Betracht gezogen wurde, der doch ein Vorbild für die Schüler sein sollte … das war auch nicht richtig.
    Was tat Tony O’Brien wohl gerade, an diesem verregneten Sonntag nachmittag um halb drei? Vielleicht war er bei einem der anderen Lehrer zum Mittagessen zu Gast. Aidan hatte ihn nie zu sich eingeladen, weil bei ihnen das Mittagessen ja buchstäblich ausfiel. Außerdem hätte Nell ihn zu Recht gefragt, warum sie sich mit diesem Kerl abgeben sollten, über den Aidan seit fünf Jahren nur schimpfte. Womöglich hatte Tony noch Damenbesuch vom letzten Abend da. Tony O’Brien sagte immer, er sei dem chinesischen Volk zu großer Dankbarkeit verpflichtet, weil nur drei Häuser weiter ein hervorragendes China-Restaurant mit Straßenverkauf sei – es gebe nichts Besseres als Huhn süßsauer, Sesamtoast, Garnelen in Chilisoße und dazu eine Flasche australischen Chardonnay und die Sonntagszeitung. Was für eine Vorstellung, daß ein Mann in seinem Alter, der schon Großvater hätte sein können, mit jungen Mädchen herumtändelte und sich am Sonntag sein Essen beim Chinesen holte!
    Andererseits, warum nicht?
    Aidan Dunne wollte nicht ungerecht sein. Er mußte zugeben, daß es jedem freistand, nach seiner eigenen Fasson selig zu werden. Und schließlich zerrte Tony O’Brien diese Frauen ja nicht an den Haaren in sein Haus. Es gab kein Gesetz, wonach man heiraten und zwei kühle, unnahbare Töchter aufziehen mußte, wie Aidan es getan hatte. Und immerhin mußte man diesem Mann zugute halten, daß er kein Heuchler war und sich offen zu seiner Lebensweise bekannte.
    Aber es hatte sich einfach so vieles verändert. Irgend jemand hatte die Meßlatte, nach der Richtig und Falsch beurteilt wird, verrückt – ohne Aidan vorher nach seiner Meinung zu fragen.
    Und wie würde Tony den restlichen Tag verbringen?
    Er würde doch nicht nachmittags wieder mit seinem Mädchen ins Bett steigen, oder? Vielleicht machte er einen Spaziergang, oder das Mädchen ging nach Hause, und er hörte Musik. Er redete oft von seinen CD s. Als er 350 Pfund im Lotto gewonnen hatte, hatte er den Schreiner, der an dem Erweiterungsbau der Schule arbeitete, beauftragt, ihm ein Regal für fünfhundert CD s zu bauen, und ihm das Geld bar in die Hand gedrückt. Das hatte alle sehr beeindruckt. Doch Aidan war neidisch geworden. Woher nahm Tony das Geld für so viele CD s? Und die Zeit, sie sich anzuhören? Er kaufte sich ungefähr drei Stück pro Woche, das wußte Aidan mit Sicherheit. Später traf sich Tony vielleicht mit ein paar Freunden im Pub, oder er sah sich im Kino einen fremdsprachigen Film mit Untertiteln an, oder er ging in einen Jazzclub.
    Vielleicht war es gerade sein Unternehmungsgeist, der Tony besonders interessant machte und mit dem er alle anderen übertrumpfte – jedenfalls Aidan. Was Aidan am Sonntag machte, interessierte keinen Menschen.
    Wenn er gegen ein Uhr von der Kirche zurückkam und wissen wollte, ob jemand Lust auf Eier und Speck habe, schlug ihm ein Sturm der Entrüstung entgegen: »Gott bewahre!« riefen seine Töchter, oder: »Daddy, wie kannst du so etwas auch nur fragen? Schließ bitte die Küchentür, wenn du das wirklich essen willst.« Wenn Nell zu Hause war, schaute sie kurz von ihrem Roman auf und sagte: »Wieso?« Es klang niemals feindselig, nur verwundert, als wäre das der abwegigste Vorschlag, den sie je gehört hatte. Und gegen drei Uhr machte sich Nell dann meist allein ein Salatsandwich.
    Wehmütig dachte Aidan an die Sonntagsessen bei seiner Mutter zurück, wo bei Tisch über die Ereignisse der ganzen letzten Woche geplaudert wurde und man nur mit einem sehr guten Grund fehlen durfte. Den Bruch mit dieser Tradition hatte er natürlich selbst herbeigeführt. Seine Kinder sollten aufgeweckte Menschen werden, die an ihrem einzigen freien Tag Entdeckungsreisen durch die Grafschaft Dublin und die benachbarten Grafschaften unternahmen. Wie hätte er damals ahnen können, daß er sich später einmal ausgeschlossen fühlen würde? Nun

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