Die Jahre mit Laura Diaz
legte.
»Bitte, Señora, geben Sie mir Ihre Ringe.«
Die Hand, die Cosima herausfordernd aus der Kutsche streckte, glänzte im Schmuck eines Goldreifs, eines augenblendenden Saphirs und eines perlenbesetzten Rings.
»Das sind mein Verlobungsring und mein Trauring. Die muß man mir erst abschneiden.«
Genau das tat der fürchterliche kaiserliche Chinaco, ohne lange zu zögern, als folgten beide dem entsprechenden Ehrenkodex: Mit einem Machetenhieb schnitt er der jungen Großmutter Dona Cosima Kelsen die vier hervorstehenden Finger der rechten Hand ab. Sie sträubte sich nicht. Der ungestüme kaiserliche Offizier nahm das rote Tuch herunter, das er nach altem Chinaco-Brauch um den Kopf geschlungen hatte, und bot es Cosima an, damit sie sich die Hand verbinden konnte. Er ließ die vier Finger in seinen Hut fallen und stand wie ein hochmütiger Dieb da, mit den Fingern der schönen Deutschen als Almosen. Als er sich schließlich den Hut wieder aufsetzte, rann ihm das Blut übers Gesicht. Dieses rote Bad wirkte bei ihm so natürlich wie bei anderen ein Kopfsprung in einen See.
»Danke«, sagte die junge und schöne Cosima und blickte ihn ein einziges Mal an. »Wünschen Sie sonst noch etwas?«
Als Antwort versetzte der Protz von Papantla dem nächststehenden Kutschpferd einen Peitschenhieb auf die Kruppe, und die Postkutsche rollte bergab, dem heißen Küstenland von Veracruz jenseits der Gebirgsnebel entgegen, ihrem Bestimmungsort.
»Daß mir keiner diese Señora noch einmal anrührt«, sagte der Anführer zu seiner Bande, und alle begriffen, daß dann ihr Leben auf dem Spiel gestanden hätte, aber auch, daß sich ihr Anführer für einen Augenblick, und vielleicht für immer, verliebt hatte.
»Aber wenn er sich in die Großmutter verliebt hatte, warum gab er ihr dann die Ringe nicht zurück?« fragte Laura Dïaz, als sie alt genug war, Fragen zu stellen.
»Weil er kein anderes Andenken an sie hatte«, antwortete Tante Hilda, die älteste der drei Töchter Cosima Kelsens.
»Aber was hat er denn mit den Fingern getan?«
»Darüber redet man nicht, Mädchen«, antwortete energisch und ärgerlich die zweite des Trios, die junge Dona Virginia, und ließ ihr Buch herabsinken, eines von den zwanzig, die sie voller Stolz jeden Monat las.
»Hut dich vorm Zigeuner«, sagte die gefräßige, Silben verschluckende Köchin der Hazienda mit ihrem Akzent des Küstenlandes. »Der schneidt Kinderfinger ab und macht Pasteten draus.«
Laura Dïaz besah sich ihre Hände – ihre Händchen –, sie streckte sie aus und schnipste unbekümmert mit den Fingern, als klimperte sie auf dem Klavier. Dann versteckte sie sie unter der Schulschürze mit den kleinen blauen Karos. Immer ängstlicher beobachtete sie, wie emsig sich die Finger im Haus des Großvaters regten, als wären alle zu jeder Zeit damit beschäftigt, das zu gebrauchen, was der Protz von Papantla der damals jungen, schönen, gerade erst angekommenen Großmutter Dona Cosima entrissen hatte. Tante Hilda spielte mit einer Art heimlichem Fieberwahn auf dem Steinway-Flügel, der aus New Orleans im Hafen von Veracruz eingetroffen war, nach einer langen Fahrt, die den Reisenden jedoch kurz vorkam, denn wie sie Señorita Kelsen erzählten, hatten die Möwen den Dampfer, oder vielleicht den Flügel, von Louisiana bis Veracruz begleitet.
»Besser wäre es für Mutti gewesen, nach La Nouvelle-Orléans zu fahren, um den Trousseau zu kaufen«, prahlte und kritisierte Tante Virginia in einem Atemzug. Für sie war es so natürlich, verschiedene Sprachen zu vermischen, wie sie die Lektüre verschiedener Bücher vermischte und sich in untadeliger Haltung ihrem Vater widersetzte. New Orleans war jedenfalls die Veracruz am nächsten liegende Handelsmetropole. Dort hatte der von der Diktatur des Hinkebeins Santa Anna ins Exil getriebene junge Liberale Benito Juârez gearbeitet und in einer Fabrik kubanische Zigarren gewickelt. Ob es wohl eine Gedenktafel gab, nachdem Juârez die Franzosen besiegt und er, der so ein kleiner, häßlicher Indio war, den Befehl gegeben hatte, den ausnehmend stattlichen Habsburger Maximilian zu erschießen?
»Die Habsburger haben Mexiko länger als jeder andere regiert, vergiß das nicht. Mexiko ist österreichischer als sonst etwas«, sagte die belesene und schriftstellernde Virginia zu ihrer jüngeren Schwester Leticia, der Mutter von Laura Dïaz. Leticia ließen solche Belehrungen kalt, sie bedeuteten nichts für das, worauf es ihr ankam: ihr Heim, ihre
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