Das Areal: Thriller (German Edition)
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T urner starb in der warmen, windstillen Nacht des 15. Juli, zwischen zwei und drei Uhr morgens, vor dem Haus, in dem er in den vergangenen sechs Monaten gewohnt hatte. Jemand schoss ihm zwei Kugeln in den Hinterkopf, raubte den Toten aus und verschwand in der Dunkelheit. Die Schüsse weckten einen Nachbarn, der die Polizei rief. Als der Notarzt eintraf, war Turners Leichnam in einer klebrigen Blutlache bereits erkaltet, und jedwede ärztliche Hilfe kam deutlich zu spät.
Es war gemunkelt worden, Turner arbeite für die CIA , während der Geheimdienst behauptete, er sei nur ein Datenauswerter gewesen, ein Schreibtischarbeiter, der Berichte zur geopolitischen Lage verfasst habe. Die Polizei wollte nicht sagen, ob seine Ermordung eventuell mit dieser Tätigkeit in Verbindung stand. Sie konnte – oder wollte – nicht sagen, weshalb jemand aus der Dunkelheit aufgetaucht war, Turners Gehirn an die Wand geblasen hatte und gleich wieder verschwunden war. Sie wollte – oder konnte – nicht sagen, was er um diese Zeit draußen gewollt hatte.
Turner, der den Bericht über sein Ableben in den Fernsehnachrichten sah, konnte sich ebenfalls nicht äußern. Er saß in einem Motel auf einem von zu viel Waschmittel steifen Bettlaken, neben sich eine Pappbox mit widerlichem vietnamesischem Fastfood.
Rufen Sie die Hotline an.
Ihr Hinweis könnte zur Festnahme des Täters führen.
Wählen Sie diese Nummer.
Allein in einer unbekannten Stadt lauschte er seinem eigenen Nachruf. Den Floskeln der Nachrichten, in denen es hieß, die friedliche Nachbarschaft sei bestürzt über das tragische Ereignis. Betrachtete einen vor Ort gedrehten, von Natriumdampflampen beleuchteten Fünfzehn-Sekunden-Spot, hörte die nichtssagenden Worte eines müden Anzugtyps bei einer Pressekonferenz. Und jetzt schalten wir um zu Tom und den aktuellen Sportergebnissen.
Gerade mal zwei Tage fort aus der Stadt, und er war ein toter Mann. Benommen saß er da und überlegte, womit er sich das eingebrockt hatte. Wer an seiner Stelle hatte dran glauben müssen. Und ob der es vielleicht eher verdient hatte. Was der Tote mitten in der Nacht vor seiner Wohnung gemacht hatte. Und falls er unschuldig war, ob er Familie hatte, Menschen, die sich jetzt fragten, wo er steckte und weshalb er nicht nach Hause kam. Eine Familie, die erst dann erfahren würde, was geschehen war, wenn Turner den Irrtum richtigstellte.
Er dachte an seine wenigen Freunde und Bekannten, an Menschen, die jetzt wie er die Nachrichten sahen. Seine Schwester war von der Polizei vermutlich unmittelbar nach dem Fund der Leiche informiert worden. Er hatte Clara seit fast vier Jahren nicht mehr gesehen, und bei ihrer letzten Begegnung hatten sie sich gestritten. Bei der sinnlosen, erbitterten Auseinandersetzung war es darum gegangen, weshalb er nicht am Begräbnis ihrer Mutter teilgenommen hatte. Turner fragte sich, ob Clara wohl um ihn trauerte oder ob sie ihm grollte, weil es mit ihm das erwartete böse Ende genommen hatte. Ob sie glaubte, es sei ihm recht geschehen. Ein verdientes Ende mit dreiundvierzig. Sie wusste, dass er kein Datenauswerter war, war sich über sein eigentliches Tätigkeitsfeld aber im Unklaren gewesen. Der Drang kam abrupt, und ehe er sich’s versah, griff er nach dem Telefon. Er wollte der Welt mitteilen, dass er nicht umgebracht worden war.
Sein Daumen verharrte über der ersten Ziffer. Der anfängliche Schock war verflogen, und er konnte wieder klar denken. Die flüchtigen, nichtssagenden Fernsehbilder vom Tatort traten ihm vor Augen, alle Einzelheiten wie in Eis gemeißelt, sauber und klar. In der Einfahrt erschossen. Räuber warteten nicht vor dem Haus; wenn es sich tatsächlich um einen Raubmord gehandelt hätte, wäre er auf der Straße gestorben, auf dem Gehsteig. Auch Einbrecher schossen den Leuten nicht vor dem Haus in den Hinterkopf. Wenn ein Einbruch aus dem Ruder lief, dann passierte es drinnen. Und wenn der Bewohner die Einbrecher auf frischer Tat ertappte, betrieben die meisten Täter Schadensbegrenzung und türmten durch den Hinterausgang.
Wer darauf wartete, dass der Bewohner nach Hause kam, und ihm zweimal in den Kopf schoss, hatte es auf den Betreffenden und niemand anderen abgesehen. Es gab einen Grund, weshalb er sterben sollte. Der Täter ließ ihn nah herankommen, wartete darauf, dass er ihm den Rücken zuwandte, passte den geeigneten Moment ab.
PENG .
Und noch eine zweite Kugel in den Schädel, zur Sicherheit. Eine Hinrichtung.
PENG .
Und
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