Die Juden von Zirndorf
öffentlich gezeigt, dessen Leben für alle ein Geheimnis war, dessen Stolz bis zur Schroffheit ging, dessen Menschenverachtung am Hof gefürchtet war, er hatte die Liebe seines Volkes in unvergleichlichem Maße genossen.
Agathon ging durch die Straßen der Stadt, einsam und verlassen. Er fühlte sich krank und wund. Ihm schien es vergeblich, zu leben, zu fühlen, zu wollen wie er gelebt, gefühlt, gewollt. Ihm war, als trage er sein Herz ausgebrannt in der dunklen Brust und in einem andern, zermalmenderen Sinne nahm er an der Trauer des Volkes teil.
Da ging er an einem Haus vorbei, in dessen Erdgeschoß ein Fenster offen stand. Verdrossen und trotzig blieb er stehen, und nach einer Weile blickte er hinein in ein ärmliches Zimmer. Drei Kinder saßen darin und spielten, drei schöne Kinder. Sie spielten ein gewöhnliches Spiel und waren allein. Aber wie sie sich dabei benahmen, wie sie nicht etwa jauchzten, sondern innig froh waren, wie ihre Augen glänzten, wie sie miteinander und mit sich selbst zufrieden und befriedigt waren von dem Gang des Spiels, das sich doch wenig unterschied von allen Spielen aller andern Kinder, darin lag etwas so Warmes, Gutes und Befreiendes, es stand in so leuchtendem Gegensatz zu der Welt da außen, daß es wie ein Stück Zukunft in der Gegenwart berührte.
Daher atmete Agathon tief und lange auf; sein Körper begann zu zittern wie unter Wellenschlägen neuen Lebens, und lächelnd setzte er seinen Weg fort.
Neunzehntes Kapitel
Sommer und Sommerwinde! Blüten an allen Ecken der Welt! Ein tiefes Grün auf den Feldern, die schmeichlerische Stille der Wohnlichkeit unter den Bäumen des Waldes! Flockige Wolken, die wie Schiffe über den strahlenden Himmel ziehen, und Rosen an den Gärten und Wicken in den Hecken!
»Ich wußte, daß Sema Hellmut dem Tod verfallen war,« sagte Agathon zu Monika, als sie vom Vestnerwald herab gegen Zirndorf wanderten. »Er ist mit dem frühen Tod geboren worden.«
»Mit dem Tod geboren?« fragte Monika, leise staunend.
»Ja. Er war schon zu alt, als er geboren wurde. Seine Seele hat Jahrtausende gelebt, eine echte müde Judenseele.«
Sie schwiegen lange. An einer einsamen Stelle im Feld blieb Monika stehen, umarmte Agathon mit leidenschaftlicher Bewegung und stammelte: »Wie dank ich dir, daß du mich liebst. Du hast mir das Leben wiedergeschenkt, Agathon. Du hast es nicht geachtet, daß ich gesündigt habe, du bist groß und mutig, Agathon.«
»Es ist kein Zufall, daß alles so gekommen ist, Monika. Nun bist du eine Kämpferin geworden. Die Zeit geht nicht mehr über dich hinweg, sondern du gehst vor der Zeit einher.«
»Und was willst du tun jetzt, Agathon?«
»Warten. Ich will den Acker meines Vaters bestellen. Für mich und dich wird es Brot geben. Und die Mutter hat ja das Vermögen des alten Enoch.«
»Warten, Agathon? Worauf?«
Agathon schüttelte lächelnd den Kopf.
Als es Abend war, standen sie im Garten und bewunderten die farbigen Gluten des Himmels. Monika stand unter einem Apfelbaum und wiegte ihr Kind im Arm. Esther saß singend mit Mirjam vor dem Tor, Frau Olifat und Frau Jette unterhielten sich flüsternd auf einer morschen Gartenbank nahe der Laube.
Monika blickte hinauf in den Baum, wo die Äpfel hingen, purpurn bestrahlt von der Sonne. Sie kniff die Augen zusammen und sagte begehrlich: »Ich möchte gern einen haben, Agathon, einen Apfel von da droben.«
»Du mußt warten, Monika.«
»Immer warten! Worauf denn?«
»Sie sind noch nicht reif, Liebste.«
»Das dauert aber noch lange ...«
»O nein, zwei gute Sommerwochen und sie sind reif. Laß sie erst reif sein, Monika.«
Und Agathon küßte die junge Mutter auf die Stirn.
Ende
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