Die Kaffeemeisterin
überrascht von dem türkischen Dekor in der Coffeemühle . Mit offenem Mund starrte er auf Justus’ über und über mit Arabesken bedeckte Schürze, ließ seinen ungläubigen Blick hinauf zu seinem Fez mit der eigenwilligen Quaste wandern und blieb schließlich mit den Augen an dem Bord oberhalb des Billardtischs hängen: Mit ordentlich aufgewickelten Schläuchen warteten dort die Wasserpfeifen auf ihre Raucher.
Margarethe stand auf und holte einen Kaffee für den Mann, der die ganze Nacht durchgeritten war.
»Hier, das ist für Sie!«
Als hätte er sich schlagartig seiner Mission erinnert, kramte Batiray eine Papierrolle mit einem dramatischen Siegel aus der Tasche seines Fellmantels und überreichte sie Johanna.
Zögernd brach sie das Siegel mit dem Halbmond und den arabischen Schriftzeichen auf.
» Bismillah ar-rahman ar-rahim – im Namen Gottes, des Allerbarmers des Barmherzigen«, las Johanna.
So schnell sie es vermochte, überflog sie die Zeilen in der ihr bekannten Handschrift mit den kühnen Bögen.
»Meine liebe Yuhanissa, möge Gott, der Allmächtige, dafür Sorge tragen, dass Dich dieser Brief erreicht! Wir sind gesund und demütig wieder zu Hause angekommen, nachdem wir an den heiligen Stätten gebetet haben. Leider sollte uns daheim eine traurige Neuigkeit erwarten: Die gute Aglaia ist von uns gegangen. Sie starb, während sie ihrer Lieblingsbeschäftigung nachging, dem Rösten frisch angelieferter Bohnen aus Mokka. Wenn ich nicht so bestürzt über ihren Verlust wäre, würde ich sagen: ein schöner Tod!«
Johanna blickte auf. Ihre Augen waren feucht. Die arme Ag laia! Sie hatte zwar gewusst, dass sie sie nie mehr wiedersehen wür de, aber nun war die Nachricht von ihrem Tod doch ein Schock.
»Ihr letzter Wunsch war, dass Du ihre Nachfolge antrittst«, las sie weiter. »Dies ist auch mein Wunsch, denn wenn auch niemand Aglaia ersetzen kann, so war doch Dein Kaffee fast so gut wie ihrer. Batiray wird Dich hierher begleiten, damit Du nicht wieder von Seeräubern überfallen wirst. Bring Deine Familie einfach mit. Hatice und Selma können es kaum erwarten, Deine Töchter kennenzulernen. Ich habe für Euch alle schon ein kleines Häuschen reserviert. Es liegt direkt neben Fatmas Kaffeehaus. Seine Majestät lässt Dir ausrichten, dass er sich sehr freuen würde, wenn Du kämst. Finanziell wird es sicher nicht zu Deinem Nachteil sein. Wir warten gespannt. Deine Zehra«
Die Sultana hatte noch ein kleines Postskriptum unter ihren Brief gequetscht: »Bring am besten auch den Geiger mit!«, entzifferte Johanna die winzigen Buchstaben.
Sie ließ das schwere weiße Büttenpapier in ihren Schoß sinken. Ihr war heiß geworden, als hätte jemand in ihrem Inneren eine Flamme entzündet. Zehra hatte ihr geschrieben, nach all den Wochen des Schweigens! Um sie zurück nach Konstantino pel zu beordern. Anders konnte man das wohl kaum bezeichnen. Aber kam das Ersuchen der Sultana nicht gerade zum richtigen Zeitpunkt? So schlimm es auch war, dass die gute alte Aglaia nicht mehr lebte: Ihre Nachfolge am Hofe des osmanischen Herrschers anzutreten war die größte Herausforderung, die Jo hanna sich vorstellen konnte. Die »Kaffeemeisterin des Sultans« – nun sollte sie diesen Titel tatsächlich tragen! Und das unter ganz anderen Voraussetzungen als damals: Sie würde dort nicht mehr als die verhuschte kleine deutsche Schankmagd auftreten, die zufällig im Harem gelandet war, um sich anschließend von irgendwelchen missgünstigen Furien herumschikanieren zu lassen. Nein, man hätte sie geholt, weil man sie haben wollte, sie und niemand anderen, Johanna Berger aus Frankfurt, die Besitzerin der berühmten Coffeemühl e ! Und das Beste: Sie würde ihre Familie dabeihaben – und Gabriel!
Sie sah schon alles genau vor sich: sich selbst auf dem Holzbalkon über dem Bosporus, wie sie der Sultana Kaffee einschenkte, ihr Kind, das zwischen den Bücherstapeln herumkrabbelte, und Gabriel, wie er die Uraufführung von die Söhne Ab rahams dirigierte, zu Ehren Seiner Majestät Sultan Mahmud I. Was für eine unglaubliche Vorstellung! Und sie war auf einmal so nah. Kein bloßer Traum, kein Hirngespinst mehr! Was Gabriel wohl dazu sagen würde? »Lass uns von hier weggehen, Johanna«, hatte er sie immer wieder gedrängt, »irgendwohin, wo unsere Liebe eine Chance hat. Ob du dich als Jüdin ausgibst oder ich mich als Christ, ist mir egal – Hauptsache, wir können zusammenbleiben! Venedig, London, das spielt für mich keine
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