Das Band der Magie
Kapitel 1 - Die Jagd
Ich hatte ihn schon seit Wochen im Visier.
Mal sah ich seine schwarze Rute über den Büschen aufblitzen, dann entdeckte ich seine beeindruckenden Pfotenabdrücke im Schnee. Jede Kralle war etwa so lang wie die Spanne meiner Hand und der Pfotenballen … da passten meine Füße ganz bequem nebeneinander rein und hatten sogar noch Platz, um darin Ringelreigen zu tanzen.
Als Mädchen allein im Wald zu überleben, ist nicht gerade einfach. Doch wenn draußen ein riesiger Wolf herumschleicht, wird das Leben plötzlich zur Herausforderung. Ich bin nicht gerade ängstlich, aber dieses Vieh machte mir Angst. Offensichtlich hatte es großes Interesse an mir. Warum sonst sollte es jeden Morgen und jeden Abend um meine Hütte streifen? Bestimmt nicht, um Tee zu trinken.
Es half auch nicht besonders, dass Meeha, mein kleiner Spürhund, seit vier Tagen zitternd in der Ecke hockte. Sie weigerte sich strikt, nach draußen zu gehen und hatte mir bereits zwei Mal in die Ecke gepieselt.
Deshalb ließ meine Laune sehr zu wünschen übrig.
Das erklärte auch, warum ich mich an diesem Morgen anzog – meine Schneestiefel, den mottenzerfressenen Bärenmantel, Handschuhe und das zerfledderte Etwas, das ich als Hut benutze und eigentlich ein Topflappen ist – und mir meinen Bogen schnappte. Ich bin eine gute Schützin, nur jage ich normalerweise nichts, was größer ist als ein Schneehase. Selbst Rehe oder Hirsche erlege ich nur äußerst ungern. Die haben so wunderschöne Augen. Von Raubtieren lasse ich generell die Finger. Man weiß nie, wessen Onkel, Mama oder Tochter man gerade erlegt hat. Und unsere Tierwelt ist im Allgemeinen etwas nachtragend.
Dass ich jetzt auf einmal zum Großwildjäger wurde, lässt sich nur mit meiner Wut erklären. Ich hatte die Schnauze gestrichen voll. Besser, ich begann die Jagd - als umgekehrt.
„Nur ein toter Wolf ist ein guter Wolf!“, versuchte ich mich zu motivieren.
Meeha jaulte kläglich in ihrer Ecke und ließ meine Motivation kurz wanken. Immerhin kam sie vorsichtig näher, geduckt, winselnd. Das sah ihr wirklich gar nicht ähnlich. Normalerweise war sie in etwa so tapfer wie ich, zumindest in Anbetracht ihrer Größe: Sie reichte mir gerade mal bis zu den Waden.
Ich hatte Meeha ohnehin schwer im Verdacht, ein seltenes Wechselwesen zu sein. Das würde erklären, warum sie mal blau, mal rot und dann bunt getupft war. Heute war sie grau, ihrer Stimmung entsprechend.
Ich kniete mich zu ihr nieder. „Bleib hier, Meeha! Das ist nichts für dich!“, erklärte ich ihr sanft, strich durch das seidige Fell und zeigte auf das fröhlich knisternde Feuer, in dem sich gerade zwei Feuergeister vergnügten. „Pass auf die beiden auf, damit sie uns nicht die Bude abfackeln!“
Meeha wirkte unschlüssig. Dann siegte ihr Überlebenswille - das hätte mich stutzig machen sollen - und sie trollte sich zum Feuer. Auf Feuergeister aufzupassen war genau ihr Ding. Da war es nämlich schön warm und relativ ungefährlich.
Ich zog mir den Bogen über eine Schulter, ergriff den abgewetzten Pfeilköcher und trat aus der Tür, bevor ich es mir anders überlegen konnte.
Die Kälte krallte sich sofort in meiner Nase fest.
Ich schätzte kurz meine Umgebung ab: Es dürfte etwa minus zehn Grad haben, der Schnee reichte fast bis zu meiner Veranda. Also musste er etwa zwei Meter hoch liegen. Obendrauf war er gefroren, was gut war. Dann sank ich nicht so tief ein.
In dieser Sekunde klirrte mein Atem fröhlich vor meinem Mund. Die Frostgeister hatten mich gefunden.
Frostgeister sind süße, kleine Dinger: Sie suchen sich den wolkigen Atem eines Geschöpfes aus, um darin zu baden. Das macht sie glücklich – und dann klingeln und klirren sie unsichtbar vor sich hin.
Ich begrüßte die Truppe mit einem Nicken - es mussten viele sein, dem Lärm nach zu urteilen - und sprang von der Veranda. Der Schnee verschluckte mich bis zu den Waden.
Dann stapfte ich entschlossen los, den Pfotenspuren folgend.
Nur nicht allzu genau drüber nachdenken, dachte ich dabei, denn tief in meinem Inneren wusste ich, dass das hier keine gute Idee war. Es war früher Morgen, die Sonne hatte sich noch nicht durch die grauen Nebelschwaden durchgekämpft. Kein Neuschnee heute Morgen. Daher ließen sich die Pfotenspuren gut verfolgen.
Über mir knarrten die Bäume sanft vor sich hin, als wollten sie mich damit begrüßten. Wie jeden Morgen beugte auch ich ein wenig die Knie und nickte ihnen möglichst würdevoll
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