Wenn der Tod mit süßen Armen dich umfängt
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Supervisory Special Agent Caitlyn Tierney war froh, dass sie heute Morgen auf ihren Kaffee verzichtet hatte. Denn als der Fahrer des Cadillac Escalades eine 45er Automatik zog, wäre ihr auch ohne Koffein im Blut beinahe das Herz stehengeblieben. Und wach war sie jetzt ohnehin, vielen Dank auch.
»Waffe runter, Commissioner Schultz!«, brüllte Sheriff Mona Holdeman hinter ihrem Streifenwagen hervor, mit dem sie dem Escalade auf der anderen Seite den Weg abgeschnitten hatte.
Ein schneidend kalter Wind fegte an diesem frühen Märzmorgen über die einsame Landstraße und kündigte Schnee an. Während Caitlyn über den Lauf ihrer Glock 22 hinweg den Fahrer anvisierte, musste die FBI -Agentin unwillkürlich daran denken, wie sie als Kind an solchen Tagen aufgewacht und mit nackten Füßen über den kühlen Boden zum Fenster gerannt war, ohne auf die prickelnden Fußsohlen zu achten. Wie sie auf Schnee gehofft hatte und gleich darauf das Gefühl der Enttäuschung verspürt hatte. Nicht wegen des Wetters, sondern weil ihr in diesem Augenblick das Schreckliche wieder eingefallen war – dass ihr Vater fort war. Tot. In North Carolina begraben, dem Zuhause, das sie und ihre Mutter zurückgelassen hatten.
Caitlyn schüttelte die Kindheitserinnerung ab und konzentrierte sich wieder auf ihren Verdächtigen, einen korrupten Polizeibeamten hier im County, und obendrein ein selbst erklärter Waffennarr. Holdemans Streifenwagen sowie zwei Einsatzwagen der State Troopers versperrten Schultz den Weg. Diesen abgelegenen Straßenabschnitt mitten in Dutch Country von Pennsylvania hatten Holdeman und ihr Team ganz bewusst gewählt, da sie sich hier bei einem Schusswechsel höchstens um drei Pferde sorgen mussten, die auf einer benachbarten Weide grasten.
Caitlyn war als Verstärkung mitgekommen – die hatte Sheriff Holdeman auch dringend nötig, denn gleich, nachdem sie ins Amt gewählt worden war, hatte sie feststellen müssen, dass zwei Drittel ihrer Leute vom County Commissioner geschmiert worden waren und dass Schultz ihren Mord in Auftrag gegeben hatte.
Wenn in einem Verwaltungsbezirk auf jeden Ortsansässigen zwei Kühe kamen und kaum jemand Interesse für Politik aufbrachte, geschweige denn überhaupt zur Wahl ging, führte das zu äußerst interessanten politischen Karrieren. Nur so hatte Schultz seit nunmehr zehn Jahren diesen beschaulichen Landstrich unter seine Kontrolle bringen und sich an den Steuereinahmen bereichern können. Da Korruptionsbekämpfung zu den vorrangigen Zielen des FBI gehörte, hatte Caitlyn nur zu gerne Hilfe zugesichert, als Holdeman und die State Police sich an sie gewandt hatten.
Allerdings war es nicht ihre Absicht gewesen, gleich an vorderster Front mitzukämpfen. Immerhin war ihr ein handfester Einsatz nicht unwillkommen, schließlich hatte sie zwei Monate lang nur telefoniert, geskypt oder Papierkram erledigt. Was leider unvermeidlich war bei ihrer neuen Stelle als Local Law Enforcement Liaison, durch die der Kontakt zwischen FBI und den örtlichen Polizeibehörden verbessert werden sollte. Gemeinsam mit den Polizisten hatte Caitlyn eine Menge über Schultz zutage gebracht, der Commissioner hatte von Bestechungsgeldern über Erpressung bis hin zu Auftragsmord wirklich nichts ausgelassen.
Da Schultz niemals unbewaffnet unterwegs war und auch zu Hause sowie im Büro ein ganzes Arsenal an Schusswaffen hortete, hatten sie seine Festnahme hierherverlegt: Schultz fuhr jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit über diese Landstraße, deren eine Seite von Äckern und Wiesen gesäumt war, während sich auf der anderen dicht bewaldete Hügel erstreckten.
»Legen Sie die Waffe auf den Boden und treten Sie vom Wagen weg«, tönte Holdemans Stimme aus dem Lautsprecher ihres Einsatzfahrzeugs. »Arme über den Kopf!«
Schultz zögerte. Wenn er die Pistole auf Holdeman richtete, bedeutete das seinen sicheren Tod, da sowohl Caitlyn auf ihn zielte als auch die beiden State Trooper mit ihren Gewehren. Genau wie vorgesehen, blieb dem Tatverdächtigen also nichts anderes übrig, als sich zu ergeben. Wenn alles glattging, sollten sie noch rechtzeitig für Kaffee und selbst gemachte Donuts mit Ahornsirup wieder auf dem Revier sein.
Langsam, übertrieben langsam, beugte Schultz sich nach vorn und legte seine Waffe auf den Asphalt, die andere Hand streckte er dabei weiter in die Luft. Dann hob er auch die zweite Hand und trat von der Pistole weg.
Da passierte es.
Caitlyn hatte den Kofferraum und die Beifahrerseite
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