Die Karte der Welt (German Edition)
Schemel auf. »Aber niemand geht dorthin. Der Priester sagt, sein dunkles Geheimnis geht auf lästerliche Praktiken zurück … aus einem längst vergangenen Zeitalter!«
» Wir gehen dorthin«, erwiderte Fretter. »Pflicht ist Pflicht. Wir hinterfragen die Befehle des Fürsten nicht.«
Lothario streckte die langen Beine aus. »Priester nennen Dinge gerne dunkel und böse. Hält sie im Geschäft. Aber was sollen diese vagen Aussagen bedeuten? Längst vergangene Zeitalter? Lästerlich? Pah! Ich sage, wenn wir den Rand des Schleiers erst einmal kartographiert haben, wird er gleich weit weniger geheimnisvoll sein.«
Elger bedeutete Wex, sich wieder zu setzen. »Und was hat das mit meinem Sohn zu tun, bei allem gebührenden Respekt?«
»Unser Kartograph ist unterwegs erkrankt«, antwortete Fretter.
»So ist es«, bestätigte Lothario. »Es ist schlimm. Zuerst Schüttelfrost, dann Fieber. Übergibt sich ständig. Ich dachte schon, er würde platzen …«
»Kurzum, er konnte uns nicht weiter begleiten«, unterbrach Fretter eilig Lotharios anschauliche Schilderung. »Wir brauchen Ersatz.«
»Ein Kartograph? Was ist das?«, fragte Elger.
»Ein Kartenzeichner«, erklärte Fretter. »Derjenige, der die Karte für uns anfertigen wird.«
Er zog eine mannsgroße Lederröhre vom Rücken und strich sorgfältig mit der Hand über den Tisch, um sicherzugehen, dass auch ja kein Stäubchen mehr darauf lag. Dann öffnete er die Röhre und zog ein Dokument von enormen Abmessungen hervor. Er rollte nur das oberste Stückchen auf und breitete es vorsichtig auf dem Tisch aus. Wex erkannte kleine Symbole, die offensichtlich Berge, Straßen und Wälder darstellten.
»Dies«, verkündete Fretter, »ist eine Karte der gesamten bekannten Welt. Sie ist hunderte von Jahren alt und die vollständigste, die es gibt. Normalerweise hängt sie im Versammlungssaal im Palast von Skye. Dort, wo Grafen und Könige ihren Geschäften nachgehen.« Er gestatte den beiden noch einen kurzen Blick, dann steckte er die Karte eilig wieder weg. »Wir hatten schon befürchtet, in die Stadt zurückkehren zu müssen, um einen Ersatzkartographen zu finden. Eine mehrtägige, beschwerliche Reise. Doch dann entdeckte unser Magier auf dem Markt in Furtheim dies .« Er schob Elger das kleine kreisrunde Pergament hin, das er zuvor den Hoxxel-Brüdern gezeigt hatte. »Er schlug vor, uns unter den hiesigen Bauern nach ihrem Erschaffer umzusehen.«
»Ahhh.« Mit einem Nicken nahm Elger das Pergament und betrachtete es. »Die Zornberge. Die Zeichnung ist von vor zehn Tagen, kurz vor dem ersten Frühlingsregen. Man sieht den Schleier, wie er sich dunkel bis in die Wolken erhebt und die Gipfel verhüllt.«
»Erstaunlich«, kommentierte Lothario. »Nur eine Farbe, ein paar Linien und Kleckse, und doch sieht man genau, was es darstellt.«
»Du erkennst das Werk also?«, folgerte Fretter. Es war weniger eine Frage als eine Feststellung.
»Ja«, erwiderte Elger. »Mein Sohn vertreibt sich mit diesen Dingen die Zeit. Nachdem er seine eigentliche Arbeit erledigt hat, natürlich.«
»Dann ist er unser Mann!«, erklärte Lothario lächelnd.
Wex wusste nicht recht, was all das zu bedeuten hatte, doch allein die Tatsache, dass zwei leibhaftige Palastwachen von seinen Zeichnungen beeindruckt waren und vollkommen ohne Furcht vom Schleier sprachen, ließ sein Herz höher schlagen. Er beugte sich vor und blickte zwischen den Soldaten und seinem Vater hin und her. Lothario und Fretter warteten, wie er, auf eine Antwort, aber Elgers Gesicht blieb undurchdringlich. Er trommelte lediglich mit den Fingern auf den Erlenholztisch.
»Mein Sohn wird diesen Hof übernehmen«, erklärte er schließlich.
»Die Schweine?«, fragte Fretter.
Mit einer Handbewegung brachte Lothario seinen zweiten Hauptmann zum Schweigen. »Vielleicht haben wir uns nicht klar genug ausgedrückt. Wir bieten deinem Sohn an, sich Fürst Krysts Kartenexpedition anzuschließen. Nicht als vollwertiger Soldat versteht sich, aber wer weiß, wohin dieses Engagement ihn noch führen mag?«
Elger zuckte nicht mit der Wimper.
»Gegen Bezahlung, natürlich«, fügte Fretter hinzu.
»Geld bedeutet nichts, wenn mein Sohn nicht mehr bei mir sein kann. Außerdem brauche ich seine Hilfe. Er hat hier ein gutes, friedliches Leben.«
»Mit einer Vorauszahlung könntest du jemanden anheuern, der dir hilft«, schlug Lothario vor. »Und was gibt es Friedlicheres, als ein paar Tage in den Wäldern am Fuß der Berge zu
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