Hier und jetzt und Himbeerkuchen: Roman (German Edition)
Erstes Kapitel
N a, wunderbar.
Dieser Sonntagabend ist rot markiert.
Gerade will ich mir ein Glas Milch nehmen und es mir mit einem Buch gemütlich machen, da bleibt mein Blick an dem Kalender neben dem Kühlschrank hängen. Ich hätte wirklich schwören können, dass es erst nächsten Sonntag wieder so weit ist. Ich lasse den Kühlschrank zu und blättere hastig im Kalender eine Woche zurück. Und dann zwei.
Hm. Tatsächlich. Es ist schon wieder vierzehn Tage her.
»Jörg!«, rufe ich laut und seufze leise. »Rote Markierung!«
»Ja, ich weiß!«, ruft er aus dem Badezimmer zurück.
Komisch. Jörg klingt längst nicht so begeistert wie sonst.
»Bist du schon so weit?«, rufe ich.
»Sofort«, antwortet er lustlos.
Was hat er denn?
»Denk bitte an das Handtuch!«
»Jaaa!«, ruft er. Als sei meine Bitte völlig überflüssig.
Ich rücke schon mal einen Stuhl zurecht, reiße ein Blatt von der Küchenrolle ab und lege es auf den Tisch.
Jörg kommt in die Küche. Er hat nur seine Jogginghose an.
Er guckt mich an, als wolle er noch etwas sagen, bevor es losgeht, doch dann verzieht er bloß den Mund und lässt sich auf dem Küchenstuhl nieder.
»Gut, dass du schon dein Unterhemd ausgezogen hast«, lobe ich ihn, um ihn aufzuheitern. »Und den Trimmer hast du auch gleich mitgebracht, prima«, füge ich hinzu und nehme ihm das Gerät ab.
Das macht er nur ganz selten. Meistens muss ich noch mal ins Bad laufen und das Ding holen, während Jörg es sich bereits auf dem Stuhl gemütlich macht.
Ich lege ihm das Handtuch um die Schultern. Wie immer beginne ich mit seinem rechten Nasenloch und achte sorgfältig darauf, den Trimmer unter sanft kreisenden Bewegungen nicht tiefer als einen halben Zentimeter einzuführen.
Männer, die gezwungen sind, so ein Gerät zu benutzen, tun das normalerweise in aller Diskretion, stelle ich mir vor.
Jörg ist da ganz anders.
Jeden zweiten Sonntag lässt er sich völlig entspannt von mir entfernen, was zu üppig aus Ohren und Nase sprießt. Jörgs Trimmer hat vorne sogar eine winzige Lampe. Ich habe bestimmt schon viel tiefer in seine Nase geschaut als die meisten anderen Frauen bei ihren Männern.
»Vor dir ist mir nichts peinlich, Iris«, murmelt Jörg auf einmal. Als hätte er meine Gedanken gelesen.
»Hm …«, mache ich verdutzt.
Sonst sagt er beim Rasieren eigentlich nie was.
Und überhaupt – vor dir ist mir nichts peinlich, Iris . Was will er mir denn damit sagen? Meine Lippen verziehen sich irritiert. Wenn ein Mann zu einer Frau sagt, ihm sei vor ihr nichts peinlich, bedeutet das nicht im Grunde … Meine Stirn runzelt sich. Ich meine: Sagt ein Mann so was zu einer Frau, die er attraktiv findet? Ich schlucke. Bedeuten Jörgs Worte etwa, ihm ist es inzwischen so ziemlich egal, dass ich eine Frau bin?
›Ja, genau das bedeuten seine Worte‹, würde Emma natürlich sagen. Meine beste Freundin entdeckt nämlich ständig etwas Übles an dem, was Jörg sagt oder tut. Und sie ist auch noch felsenfest davon überzeugt, dass das gut für mich ist.
›Merkst du denn nicht, für ihn bist du nur noch das Dienstmädchen, Iris?‹, würde sie mich wütend fragen. ›Du hast mir doch selber erzählt, dass er im Bett kein bisschen Elan zeigt.‹
Ach, verdammt. Wie soll man sich denn da noch darauf konzentrieren, den Schneideaufsatz höchstens einen halben Zentimeter zu versenken. Ich kaue wie wild auf meiner Unterlippe. Man könnte … ja, man könnte seine Worte aber auch ganz anders deuten! Wenn man zum Beispiel davon ausgeht, dass Jörg sie nett gemeint hat.
Dann sind sie ein Kompliment. Ein richtig dickes sogar.
Ein Kompliment an unsere langjährige Beziehung. Ungeniert zu sein, das zeugt doch von besonderer Intimität ! Von gewachsener Intimität.
Ja! Ich atme tief durch. Genau.
Jörgs rechtes Nasenloch ist fertig. Ich mache mich an das linke.
Iris, Iris, schüttle ich den Kopf über mich selber. Du solltest dich nicht immer damit verrückt machen, was Emma wohl sagen würde.
Sonst könntest du dich ja gleich von Jörg trennen.
Ich lächle kurz und seufze einigermaßen erleichtert.
»Ha… halt mal eben«, sagt Jörg im selben Moment.
Sofort ziehe ich den surrenden Rasierer weg und greife nach dem Küchenpapier. Diese fiesen, klitzekleinen, abgeschnittenen Haare bringen Jörg manchmal zum Niesen.
»Bitte schön«, ich drücke ihm rasch das Tuch in die ausgestreckte Hand. Jörg schnäuzt sich gründlich.
»Ah, besser«, sagt er
Er lehnt sich wieder zurück
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