Die Katze, die den Braten roch
Es war Ende Oktober, und Moose County, 400 Meilen nördlich vom Rest der Welt, drohte von der Landkarte zu verschwinden. Die Städte und Farmen wurden von einer Rekorddürre heimgesucht und konnten über Nacht in Schutt und Asche liegen – ein einziger Funke und starker Wind würden schon genügen. Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehren waren rund um die Uhr in Alarmbereitschaft, und vierzehn Kirchengemeinden beteten um Schnee. Nicht um Regen. Um Schnee! Der Winter begann stets mit einem dreitägigen Blizzard, der Große Sturm genannt; einem Unwetter, das alles unter einer dicken Schneedecke begrub, die vom Wind zu bis zu drei Meter hohen Schneewehen aufgetürmt werden konnte. Also wachsten die Bewohner von Moose County ihre Schneeschaufeln, kauften Frostschutzmittel und Ohrenschützer, lagerten in Flaschen abgefülltes Wasser und Taschenlampenbatterien ein – und beteten.
Eines späten Abends saß in einer Eigentumswohnung im Nordosten von Pickax City, der Bezirkshauptstadt, ein Kater auf einem Fensterbrett, reckte den Hals, hob die Nase und schnupperte. Er riecht ein Stinktier, dachte der Mann, der ihn beobachtete. Sie waren erst vor kurzem in die waldreiche Gegend gezogen, wo es viel Neues zu sehen, zu hören und zu riechen gab.
Der Mann ging hinaus, um nachzusehen – von einem Stinktier keine Spur. Es war eine stille, ruhige Nacht – bis das schrille Heulen einer Polizeisirene die Stille durchbrach, gefolgt vom Hupen eines Feuerwehrautos, das auf einer fernen Straße Richtung Süden raste. Der Lärm brach abrupt ab, als die Einsatzfahrzeuge ihr Ziel erreichten. Beruhigt darüber, daß ein weiterer Brand unter Kontrolle war, kehrte der Mann wieder ins Haus zurück.
Der Kater schleckte Wasser aus seiner Schüssel. Daß er aus drei Meilen Entfernung Rauch gerochen hatte, war bemerkenswert, und das in einer windstillen Nacht und bei geschlossenen Fenstern. Aber Kao K’o Kung war auch ein bemerkenswerter Kater! Sie waren für den Winter in eine Wohnung in Indian Village gezogen: zwei Siamkatzen und ihr persönlicher Butler, Jim Qwilleran. Neben dieser Arbeit schrieb Qwilleran noch eine zweimal wöchentlich erscheinende Kolumne für die Lokalzeitung, den Moose County Dingsbums. Der Mann mittleren Alters hatte früher als preisgekrönter Journalist bei Großstadtzeitungen im Süden unten gearbeitet, wie man den Rest der Vereinigten Staaten in Moose County nannte. Ungewöhnliche Umstände hatten ihn in den Norden geführt – zusammen mit seinen beiden Mitbewohnern, die er beide nach einer Krise in ihren neun Leben bei sich aufgenommen hatte.
Bei Kao K’o Kung, Koko genannt, handelte es sich um einen seidig glänzenden, muskulösen Kater mit erstaunlicher Intelligenz und Intuition. Yum Yum war kleiner, sanfter und liebenswürdiger. Beide besaßen das sandfarbene Fell und die dunkelbraunen Extremitäten, die für Sealpoint-Siamkatzen typisch waren, und ihre braunen Gesichtsmasken betonten ihre leuchtend blauen Augen. Während man die Katze für ihren graziösen Gang und ihr kätzchenhaftes Verhalten liebte, wurde der Kater wegen seiner prachtvollen Schnurrhaare bewundert – er besaß 60 statt der üblichen 48.
Wie der Zufall so spielt, war auch Qwilleran berühmt für seinen grau melierten Schnurrbart. Sein Bild erschien jeden Dienstag und Freitag über seiner Kolumne »Aus Qwills Feder«, und so wurde er erkannt, wo immer er hinkam. Man sah den 1,80m großen Mann in der Stadt herumspazieren, mit dem Fahrrad fahren, in Restaurants speisen und seiner journalistischen Tätigkeit nachgehen. Doch er war nicht nur wegen der ungewöhnlichen Schreibweise seines Namens und seines prächtigen Schnurrbarts berühmt. Das Schicksal hatte ihn zum Erben des riesigen Klingenschoen-Vermögens gemacht, und nun war er der reichste Mann im nordöstlichen Teil des Mittleren Westens der Vereinigten Staaten. Daß er seinen Reichtum für philanthropische Zwecke einem Fonds übergeben hatte, trug nicht unerheblich zu seiner Beliebtheit bei den Bewohnern von Moose County bei.
Nachdem der Kater den Rauch gewittert hatte, gab Qwilleran den Katzen ihr Gute-Nacht-Häppchen, begleitete sie in ihr gemütliches Zimmer auf der Galerie und schaltete den Fernseher – ohne Ton – ein, um sie in den Schlaf zu lullen. Dann streckte er sich auf einem großen Sessel aus und las Zeitschriften, bis es Zeit für die Mitternachtsnachrichten auf WPKX war. »Ein Buschbrand an der Chipmunk Road in der Nähe der Big B Mine ist von der Feuerwehr
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