Die Katze, die den Dieb vertrieb
wandte sich an Polly. »Wie hat Bootsie herausbekommen, daß ich mir einen Kilt gekauft habe?«
»Das weiß jeder in der Stadt, Lieber. In Pickax gibt es keine Geheimnisse.«
Als die Dämmerung hereinbrach und die Gaslaternen in der River Lane angingen, fing es an zu schneien. Daher fuhr Arch seine Gäste samt ihren Geschenken und den in Folie gewickelten Päckchen mit Truthahn für die Katzen nach Hause. Qwilleran schnitt etwas Truthahn klein, bevor er zu Polly ging, wo sie Pfefferminztee tranken und den Nachmittag Revue passieren ließen: »Was ich dir noch sagen wollte, Polly, für die gute Auswahl deines Kostüms mußt du Carol danken.«
»Deine Felltasche hat Mildred genäht, Qwill.«
»Die Schneeschuhe sind so schön, daß ich sie an die Wand hängen werde, wenn ich sie nicht benutze.«
»Wußtest du, daß die Adriana die letzte Rolle war, die die Tebaldi sang, bevor sie von der Oper Abschied nahm?«
»Eddington Smith hat ein ganzes Jahr gesucht, bis er eine Gesamtausgabe von Melville fand. Diese hier ist in Boston aufgetaucht.«
Als Qwilleran schließlich nach Hause ging, hatte es zu schneien aufgehört, und er war überrascht, im frischgefallenen Schnee auf dem Weg zu seiner Tür Fußabdrücke zu sehen. Es waren die Fußabdrücke einer Frau. Reifenspuren sah er keine. Sie wohnte also in Indian Village und war zu Fuß gekommen. Wer würde ihn besuchen, ohne vorher anzurufen oder eingeladen worden zu sein? Weder Hixie noch Fran. Und ganz gewiß nicht Amanda Goodwinter. Er öffnete die Tür und entdeckte auf der Schwelle ein in konservatives Geschenkpapier eingewickeltes Paket, das von der Größe und dem Gewicht her einer Riesenschachtel Pralinen entsprach. Er fühlte sich genötigt, Lewis Carroll zu zitieren: Das wird ja immer komischer und komischer! Er nahm es mit hinein und hoffte, daß es keine Schokolade war.
Die Katzen, die auf dem Sofa dösten, hoben erwartungsvoll die Köpfe.
»Dreimal dürft ihr raten!« sagte er zu ihnen und riß das Papier auf. Es war ein Buch mit einem ungewöhnlichen Einband: Es war mit einem rotgrünen Stoff bezogen, der mit Blumen und Blättern gemustert war; der Buchrücken war aus Leder. Der goldgeprägte Titel darauf lautete Konstanze und Sophie oder die alten Damen.
»He«, schrie er auf und erschreckte damit die Katzen. Arnold Bennett war einer seiner Lieblingsautoren, und dieser Roman galt als sein bester. Es war ganz offensichtlich eine Sonderausgabe des Buches aus dem Jahr 1907, mit dickem Papier von ausgezeichneter Qualität, Seiten mit Büttenrand und mit Holzschnitten illustriert. Innen lag eine Karte:
Qwill – Sie haben vorige Woche in Ihrer Kolumne Bennett erwähnt, und ich dachte, dieses kostbare Buch aus der Sammlung meines Vater wäre vielleicht etwas für Sie.
Ihr größter Fan – Susan
Qwilleran war verblüfft. Susan Plensdorf war die Leiterin des Redaktionsbüros des Dingsbums – eine ältere, ziemlich schüchterne Frau. Sie wohnte allein inmitten von wertvollen Familienerbstücken.
Er ließ sich mit dem Buch in seinen Lieblingslehnsessel fallen und legte die Füße hoch. Koko und Yum Yum kamen angelaufen. Sie verbrachten häufig ihre gemeinsame Zeit mit Vorlesen.
Bennett war Journalist gewesen, und seine Romane waren in einem nüchternen Stil geschrieben, mit vielen detaillierten Beschreibungen. Beim Vorlesen untermalte Qwilleran die Geschichte mit dramatischen Toneffekten, um zu demonstrieren, wie der Kuckucksschrei in der englischen Landschaft hallte, wie die Glocke des Pferdewagens in der Stadt klingelte, wie Mr. Povey auf dem Sofa mit offenem Mund schnarchte. (Er hatte wegen seiner Zahnschmerzen eine Schmerztablette genommen.) Als Sophie, die anderen gerne einen Streich spielte, ihm mit einer Zange in den geöffneten Mund fuhr und den wackeligen Zahn herauszog, schrie Mr. Povey auf – Qwilleran brüllte ebenfalls, Yum Yum kreischte. Aber wo war Koko?
Aus dem Vorzimmer, wo Qwilleran seine Weihnachtsgeschenke aufgestapelt hatte, war ein Rascheln zu vernehmen; Koko bemühte sich nach Kräften, den Karton mit der Gesamtausgabe von Melville aufzubekommen.
Zog es ihn zu den Ledereinbänden? Witterte er an den alten Büchern aus Boston den Geruch nach Kabeljau? Konnte er spüren, daß der Karton einen Roman über einen Wal enthielt? Er war ein kluger Kater, aber war er so klug?
Koko hatte tatsächlich ein verblüffendes Talent für übersinnliche Wahrnehmung. Er wußte, wie spät es war, er konnte Qwillerans Gedanken lesen und
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