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Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich

Titel: Die Kinder von Estorea 01 - Das verlorene Reich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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Botschaft erhalten hatte, dass die Geburten unmittelbar bevorstanden. Seine dunkelblaue, golden eingefasste Flagge, die zwei auf den Hinterläufen stehende Bären zeigte, flatterte über seiner Residenz, die einen unvergleichlichen Ausblick auf Bucht und Hafen bot.
    »Dein Zeitgefühl ist makellos wie immer«, sagte Kessian und machte Anstalten, sich zu erheben. Vasselis winkte ab.
    »Eine Feier in Westfallen habe ich noch nie verpasst. Ich habe sogar etwas Wein mitgebracht.« Damit stellte Vasselis zwei wundervoll modellierte Keramikkrüge mit einem zweifellos sehr alten und kostspieligen Inhalt auf den Tisch. »Darf ich mich setzen?«
    »Da musst du doch nicht eigens fragen«, sagte Kessian.
    »Ein hoher Rang ist kein Freibrief für Unhöflichkeit«, erwiderte Vasselis, während er die gegenüberstehende Bank zurechtrückte. Bevor er sich niederließ, beugte er sich vor und küsste Genna auf beide Wangen. »Nun schenk schon ein.«
    Genna kippte den Rest in ihren Kelchen aus und schnappte sich einen weiteren, den jemand auf ihrem Tisch stehen gelassen hatte. Nachdem sie alle drei mit einem Tuch, das sie an der Hüfte trug, ausgewischt hatte, teilte sie Vasselis’ Wein aus.
    »Wo ist denn die erste Dame unseres Landes?«, fragte sie.
    »Netta? Oh, ich nehme an, sie bringt Kovan ins Bett. Das hier ist wohl alles ein wenig zu viel für ihn. Es ist am besten, er schläft einfach durch bis morgen früh.«
    »Hast du denn für solche Arbeiten keine Diener?«
    »Wir kommen als Eltern ganz gut allein zurecht«, erwiderte Vasselis. »Außerdem müssen wir uns wohl kaum Sorgen machen, oder? Jedenfalls nicht hier.«
    »Du wirst dich wohl nie an die Begleiterscheinungen deines Ranges gewöhnen, was?«
    Vasselis kicherte. »Wenn du aus der Reihe tanzt, Kessian, dann wirst du feststellen, dass ich meinem Rang sehr wohl gerecht zu werden weiß.«
    Er hob seinen Kelch, die drei stießen an und tranken.
    »Sehr gut«, lobte Kessian, als der Rotwein samtig durch seine Kehle glitt und einen Nachgeschmack von saftigen, reifen Pflaumen hinterließ.
    »Hast du auch nur einen Augenblick daran gezweifelt?«, fragte Vasselis.
    Die Freunde verstummten. Kessian betrachtete Vasselis, der seinerseits die Tänzer und die Festlichkeit beobachtete. Er war stolz, diesen Mann mitten unter seinem Volk sitzen zu sehen, völlig entspannt; offenbar fühlte er sich weder als etwas Besonderes, noch sah er seine Autorität in irgendeiner Weise bedroht.
    Kessian hatte ihn von einem jungen, vom Meer faszinierten Burschen zum Herrscher von Caraduk heranwachsen sehen. Er war der mächtigste Verbündete des Aufstiegs und ein entschlossener Hüter seiner Geheimnisse. So unerschütterlich er auch auf ihrer Seite stand, es war ein ständiger, von ewigen Sorgen begleiteter Kampf, die Geheimnisse Westfallens zu hüten. Wenn sich ihre Hoffnungen erfüllten, würden sie ihn in den kommenden Jahren mehr denn je brauchen.
    Unvermittelt hörte Vasselis auf, mit den Fingern im Takt der Trommeln auf den Tisch zu klopfen, und richtete die großen braunen Augen auf Kessian. Vasselis hatte kurzes dunkles Haar und ein weiches, freundliches Gesicht, was einige Unglückliche gelegentlich als Anzeichen von Schwäche missverstanden.
    »Nun«, sagte er, »sind sie es?«
    Kessian zuckte mit den Achseln. »Es hängt wohl davon ab, ob man eher an Vorzeichen glaubt oder sich lieber auf die Wissenschaft verlässt. Selbst für mich ist das Zusammentreffen aufregend. Mathematisch gesehen würde ich mich allerdings auf nichts verlassen.« Er lächelte und schüttelte den Kopf. Vergeblich versuchte er, die Anspannung zu vertreiben, die ihn erfasste, sobald er an die Kinder dachte. »Alle wurden zur gleichen Stunde von Müttern innerhalb und außerhalb der Autorität geboren, und alle hatten eine schwere Geburt zu einer Stunde, in der es zu regnen aufhörte, die Wolken sich auflösten und die Sonne durchbrach. Wenn man Andreas Koll und Hesther Naravny glauben will, war es auch eine Stunde, in der alle Vögel schwiegen und jede Kuh, jedes Schlaf und jedes Schwein, jeder Hund und jede Katze den Kopf zur Villa wandte.«
    »Glaubst du das wirklich?«, fragte Vasselis.
    Kessians Lächeln wurde breiter. Er trank sein Glas aus. »Ich glaube, dass um die Geburtsstunde etwas in der Luft lag, das die ganze Gemeinschaft gespürt hat. Außerdem glaube ich an die Theorie der Massenempathie, wenn Gefühle wie Hoffnung oder Liebe ausgesandt werden. An Vorzeichen und Omina glaube ich jedoch nicht.

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