Die Kinderhexe
Zubereitung einer Wundsalbe nach altem Rezept waren weißer Essig, Honig, Natron und Ochsengalle nötig. Die Zutaten wurden zu gleichen Teilen in einen Topf gegeben und kurz aufgekocht. Fertig.
Wie es zum Anbrennen der Heilsalbe gekommen war, konnte sie sich nicht erklären. Die Flamme war klein gewesen, als sie kurz vor die Tür gegangen war, um frische Luft zu schnappen. Als sie zurückkam, schlugen die Flammen hoch, und im Topf verschmorte die Salbe zu einem eklig stinkenden Brei.
Wenn Grein seine beiden hinterlistigen Töchter nach der Ursache des Malheurs befragt hätte, wäre er der Wahrheit wohl nähergekommen. Aber im Zweifelsfall hielt man sich an Kathi, das Lehrkind, das froh sein durfte, in diesem ehrwürdigen Haus überhaupt arbeiten zu dürfen.
Andere Kinder, die mit dem siebten Lebensjahr begannen, die Arbeit von Erwachsenen zu tun, hatten es weitaus schlimmer erwischt als sie. Kathis Freundin Barbara arbeitete als Hilfsmagd in einer Gerberei. Der Gestank von toten Tieren raubte ihr den Appetit und die Gesundheit. Sie keuchte mehr, als dass sie atmete.
Otto, Kathis zweitbester Freund, schuftete bei Lothar, dem Schmied, am Ofen. Sein Körper war übersät von Brandstellen und blauen Flecken, die nicht nur von den heißen Eisen herrührten.
Und schließlich gab es da noch Ursula. Von den vier Freunden hatte sie es am schlimmsten getroffen. Sie stöberte im Dreck der Gassen nach verwertbarem Essen, das sie im Auftrag ihres Ziehvaters, des Spielmanns Karl Rußwurm, zu besorgen hatte. In diesen Zeiten, in denen es ohnehin kaum etwas zu essen gab, war das ein aussichtsloses Unterfangen. Wenn sie mit leeren Händen nach Hause kam, setzte es Prügel – weit mehr und brutaler als das, was Kathi von Grein kannte. So blieb Ursula nur das Betteln. Und selbst da sah sie sich einer erbarmungslosen Konkurrenz gegenüber. Bei ihrem letzten Kampf um ein Stück Brot hatte sie ein Ohr verloren. Ursula konnte von Glück sagen, dass sie eine gute Freundin in Kathi hatte, die sich auf die Zubereitung von Heilsalben verstand.
«Du nichtsnutziges, undankbares Kind!» Grein stand groß und bedrohlich wie ein Berg über der am Boden liegenden Kathi. Sein Gesicht glänzte rot, Schweiß rann über seinen dicken Hals. In der Hand führte er eine Weidenrute, eine rund einen Meter lange, biegsame Nachhilfe, um unbelehrbaren Schülern auf die Sprünge zu helfen.
Obwohl das Pfeifen in ihrem Kopf die lautstarke Anklage des Apothekers überdeckte, wusste sie um den Inhalt der Strafpredigt. Sie war jedes Mal gleich.
«Ist das der Dank dafür, dass wir dich zu einem anständigen Christenmenschen erziehen wollen? Wie willst du vor Gott, unserem allmächtigen Herrn und Schöpfer, bestehen, wenn du seine Gaben nicht ehrst und dich an seiner Natur versündigst? Sag deiner Mutter, dass sie dich lieber heute als morgen zurückhaben kann, bevor du uns alle mit ins Unglück reißt. Ich habe mein Möglichstes getan, um das zu verhindern. Aber leider ist das Böse in dir stärker als mein guter Wille.»
Er befahl Kathi zornig, sich zu erheben und zum Tisch zu gehen. Dort hatte sie sich zu bücken und sich mit ausgestreckten Armen gegen die Tischplatte zu stemmen, damit sie einen festen Stand hatte.
Lene und Lotti kamen herbei und stellten sich mit ausreichend Abstand vor sie hin. Kathi sah ihr schadenfrohes Grinsen. Eines Tages, so schwor sie sich, wird dies ein Ende haben, und böse Gedanken stiegen in ihr auf. Dann werde ich es sein, die euch ins Gesicht lacht, ihr kleinen, verdorbenen Hexen, wenn ihr mit Gejohle zum Scheiterhaufen geführt werdet.
Mit Blick zum Himmel und mit gefalteten Händen sprach Grein das übliche Gebet.
«Herr, du bist mein Zeuge. Ich erhebe meine Hand gegen dieses Kind, der rechten Unterweisung wegen. Gib ihm die Einsicht, mit den Gaben der Natur besonnen umzugehen, und dass es deinen Namen in alle Ewigkeit ehren und preisen möge. Amen.»
Ein Kreuzzeichen beschloss das Gebet und leitete die Unterweisung ein.
Kathi hörte das flirrend hohe Geräusch der Rute nicht, als diese mit Kraft durch die Luft getrieben wurde. Obwohl der Hieb sie nicht unvorbereitet traf, war der erste Schmerz noch jedes Mal der heftigste gewesen.
Sie bäumte sich auf, um gleich darauf wieder in die geforderte Ausgangsstellung zurückzukehren. Alles andere, ein Schrei, ein Flehen um Gnade oder gar das Weglaufen, hätte die Unterweisung nur verschlimmert. So zwang sie sich, den Schmerz zu ertragen, um mit fester Stimme das Gebet zu
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