Die Klingen der Rose: Ein unwiderstehlicher Schurke (German Edition)
ein ganzes Jahr in tiefer Trauer zugebracht und sich dann noch einmal anderthalb Jahre lang betrübt und bekümmert gegeben. Fast drei Jahre später hatte sie diesen finsteren Kerker des Jammers dann endlich verlassen dürfen – jetzt zog es sie in die große weite Welt hinaus. Und was für eine wundervolle Welt das war! Noch nie hatte sie England verlassen, noch nicht einmal auf ihrer Hochzeitsreise. Hier in Athen, inmitten des wunderbaren Markttreibens von Monastiraki, fühlte sie sich durch und durch lebendig.
In Buden und Zelten boten Verkäufer alles nur Erdenkliche an. Walnüsse, Oliven, bestickte Westen, Räucherwerk, Ikonen, Marmorscherben von antiken Säulen, kleine Gipsnachbildungen des Parthenons und Postkarten. Die heiße Nachmittagsluft über dem Platz duftete nach gegrilltem Lamm und Weihrauch und war erfüllt von einem schwirrenden Sprachengewirr aus Griechisch, Deutsch und Englisch. Jemand zupfte auf einer Busuki und wimmerte ein Liebeslied. Zwischen der traditionellen griechischen Kleidung und der eher modernen westlichen Mode waren die englischen Touristen mit ihren weißen Sonnenschirmen leicht zu erkennen, unter ihnen auch London. Eine Lady, erinnerte ihre Mutter sie unaufhörlich, musste stets ihren Teint schützen, zumal vor der sengenden attischen Sonne. Ihr schicker Strohhut bot ganz gewiss keinen ausreichenden Schutz.
»Wir sollten zum Hotel zurückgehen.«
London blickte sich ein wenig mitleidig nach ihrer erschöpften Zofe um. Den ganzen Tag hatte London die arme Sally kreuz und quer durch Athen geschleift. Sie hatten bereits das Hadrianstor und das Olympieion besichtigt sowie die Pnyx, die als Wiege der Demokratie galt. London und Sally hatten den steilen Berg erklommen, um die Akropolis zu bestaunen, und die verfallene Symmetrie des Parthenons bewundert. Zumindest London hatte sie bewundert. Sally hatte etwas von verwahrlosten alten Tempeln gegrummelt und weshalb um alles in der Welt sie durch diese schmutzige unzivilisierte Stadt latschen mussten, anstatt zu Hause ins Museum zu gehen? Dank Lord Elgin lägen dort doch haufenweise blöde Marmorscherben herum.
London selbst konnte es hingegen kaum fassen, dass sie wirklich durch diese Straßen lief und die Tempel von Theseus und Perikles mit eigenen Augen zu sehen bekam. Sie hatte so viel über die Antike gelesen, über ihre Helden und Tragödien. Jetzt leibhaftig hier zu stehen und die staubige Luft einzuatmen empfand sie als ein Geschenk, das sie einfach nur genießen wollte. Nachdem sie die Agora, im antiken Griechenland der zentrale Markt- und Festplatz, besichtigt hatten, wollte London die moderne Version dieses Ortes kennenlernen. Und so fanden Sally und sie sich im bunten Treiben und Lärmen von Monastiraki wieder, wo es leider von britischen und deutschen Touristen in weißen Leinenanzügen wimmelte. Na ja, immerhin konnte London hier ein paar Souvenirs für ihre Freunde zu Hause besorgen und vielleicht auch etwas für sich selbst. Wenn sie Athen morgen mit ihrem Vater verließ, würde es, so hatte er sie gewarnt, weit und breit nichts mehr geben, wo man Andenken kaufen könne. London kämpfte mit ihrer Enttäuschung. Erst gestern waren sie in Athen angekommen, und schon mussten sie wieder abreisen.
Doch sie wollte sich nicht beklagen. Dass sie sich überhaupt in Griechenland befand, hatte sie lediglich dem Zufall und ihrem eigenen Ungehorsam zu verdanken. Es grenzte an ein Wunder.
»Nur noch ein bisschen, Sally«, sagte London. »Versprochen. Dann gehen wir schnurstracks zurück zum Hotel.«
»Ihr Vater will nicht, dass Sie so lange allein unterwegs sind.«
»Aber ich bin nicht allein. Ich habe doch dich dabei.«
Sally brummelte von Neuem vor sich hin, doch London hörte darüber hinweg. Sie schlenderte zwischen Ständen mit Korinthen und Seidenschals umher. Die Verkäufer grüßten freundlich.
»Eine hübsche Halskette für eine hübsche Dame!«, rief jemand auf Deutsch.
»Herrliche Weintrauben, genauso süß wie Sie!«, lockte ein anderer auf Englisch.
Alles faszinierte sie. Sie wusste gar nicht, wo sie anfangen sollte. Ihr Kopf schwirrte von dem überbordenden Angebot und dem Tumult um sie herum. Bis ihr Blick an etwas hängen blieb. London ging zu einem Stand, an dem ein Verkäufer in traditionell weißem Kilt und kurzer Jacke seine Waren präsentierte. Auf den Tischen reihten sich schwarze und rote Urnen, Amphoren und Teller. Die Tonwaren zeigten klassische Motive aus der griechischen Mythologie.
»Wunderbare
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