Die Kreuzfahrerin
dass man ihm anderswo, fernab von der Stadt Rom, der Hüterin der Irrlehren, zuhören und ihn verstehen würde. Giordano beobachtete die Sterne. Innerhalb kürzester Zeit konnte er die Wanderbewegung naher Planeten erkennen, sah Sternschnuppen. Wie konnte man nur so verbohrt sein und das so Offensichtliche nicht begreifen? Wie viel wunderbarer war der Gedanke, dass Gott der Allmächtige etwas viel Größeres, Unbegreifliches, für unser Auge nicht Sichtbares erschaffen hatte? Alles andere kam für Giordano nicht mehr in Betracht. Mehr noch. Es war doch auch denkbar, dass wir nicht allein in diesem unendlichen Weltall lebten. Wozu hätte sich Gott die Mühe machen sollen, das All, den Kosmos zu schaffen, wenn es dann nur auf einem, noch dazu verhältnismäßig kleinen Planeten Leben gab? Nein, nein. Giordano war überzeugt, dass es da draußen noch mehr gab. Mehr geben musste. Er schmunzelte. Was, wenn gerade jetzt in dieser Sekunde auf einem fernen Planeten ebenfalls ein Wanderer sich dieselben Gedanken machte, und beide konnten einander nur erahnen, aber niemals sehen?
Übers Meer kamen nun leichte Böen. Bald schon würden die ersten Fischerboote zum Fang hinausfahren. Eine kleine Herde Ziegen, von Giordano durch eine Mauer lose aufeinandergestapelter Steine getrennt, folgte ihm eine Weile. Akazien säumten den Weg. Die Umrisse des Vesuvs hoben sich klar gegen den Nachthimmel ab. Vor vielen Jahren musste es einen gewaltigen Ausbruch gegeben haben. Links und rechts des Weges hatte nun üppige Vegetation die grauschwarzen Vulkanfelsen überdeckt. Was würde die Mutter sagen, wenn er plötzlich in der Tür stand? Der Vater? Würde er überhaupt da sein? Als Soldat hatte er sich bei unterschiedlichen Kriegsherren verdingt, war oft zur See gefahren, so dass Giordano ihn als Knabe kaum zu Gesicht bekommen hatte. Er hatte es geliebt, seine Mutter so lange für sich allein zu haben, hatte sich aber auch immer über die Rückkehr des Vaters gefreut, da dieser meist irgendein kleines Geschenk für ihn im Seesack gehabt hatte. Es war noch ein gutes Stück Wegs nach Nola, und Giordano würde in der ärgsten Hitze immer wieder kleine Pausen einlegen müssen. Er pflückte ein paar Feigen von den Bäumen am Wegesrand. Die ersten Insekten kündigten die Morgendämmerung an.
Kapitel 4
Leise hatte sich Guiseppe von seinem Lager erhoben, um Giordano zu folgen. Der Auftrag des Priors war eindeutig. Zum Seelenheil des Abtrünnigen und um Gefahr, die von seinen Irrlehren für andere ausging, abzuwehren, war ihm aufgetragen worden, dem Mitbruder heimlich zu folgen und ihn wenn nötig bei der Inquisition anzuzeigen. Guiseppe verehrte den Älteren, bewunderte seinen Intellekt. Aber es war ihm klar, dass er zum Wohle der heiligen römisch-katholischen Kirche nicht zulassen konnte, dass reine Seelen durch ketzerische Ideen verdorben würden. Er hatte keine Sekunde gezögert, als man ihm die Absichten des Klostervorstands mitgeteilt hatte. Die letzten Monate hatte er so viel Zeit wie nur irgend möglich in der Nähe Giordanos verbracht, aber seine Zuneigung wurde nicht erwidert. Sie konnten zwar leidenschaftlich miteinander diskutieren, aber der um etliche Jahre Ältere ließ die Nähe nicht zu, die Guiseppe sich so sehr wünschte. Im Gegenteil, oftmals hatte er sich zum Gespött aller gemacht, wenn der Bewunderte seine Einfältigkeit wieder einmal mit Hilfe von Gedächtniskunststücken für alle sichtbar machte. Verschämt hatte Guiseppe sich dann jedes Mal davongeschlichen, aber immer wieder suchte er den Kontakt zu ihm, spürte, dass etwas Großes, etwas Erhabenes von ihm ausging. Doch Giordano, schien es, wollte nichts von ihm wissen. Er verhöhnte und verspottete ihn, wo er nur konnte. Hieß ihn in den hitzigen Debatten über Heilige und die Marienverehrung einen ignoranten Tölpel und Hohlkopf. Einen, der mit Blindheit geschlagen war, wie alle anderen Mitbrüder auch, der willenlos wiederkäute, was man ihm als Gedankenfutter zum Fraß vorwarf. Oft war ihm das Gesicht mit der markanten Nase, ebenmäßig wie bei einer griechischen Statue, den hellen, klaren mit einem Stich ins Bläuliche gehenden Augen und dem stets spöttischen Zug um die Mundwinkel im Traum erschienen, hatte ihn einfach nur ausgelacht oder aber forsch zu mehr Mut zum selbständigen Denken aufgefordert.
Guiseppe hegte schon seit einiger Zeit den Verdacht, dass der Tag nicht mehr fern war, da Giordano aus dem Kloster fliehen würde. Auch hatte er die Gespräche des
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