Die Kreuzfahrerin
das stachelte Giordano nur noch mehr an. Im hinteren, nicht einsehbaren Teil des Klosters versammelte er die wenigen Wissbegierigen unter den Mönchen und berichtete ihnen von Aristoteles und Platon, von Averroes, Ovid und Lukrez und erzählte ihnen von den wunderbaren Entdeckungen des Nikolaus Kopernikus. Immer lauter schrie er, wild gestikulierend, wenn sie ihn verständnislos ansahen. Danach hatte er sich jedes Mal vor dem Prior zu rechtfertigen, zu schwören, seine Mitbrüder nicht aufzuhetzen und das Lesen frevlerischer Schriften zu unterlassen. Doch die Saat der Wissbegierde keimte in ihm. Nicht lassen konnte er von den alten Schriften, nicht einsehen wollte er, dass das ganze Weltall nur geschaffen wäre, um sich rund um die Erde zu drehen, die als Mittelpunkt aller Schöpfung galt. Was, wenn das Weltall unendlich wäre? Gäbe es dann keinen Anfang und kein Ende? Was aber, wenn nicht, was käme nach dem Ende? Wozu sollte ein allmächtiger Gott etwas Unendliches schaffen, um es rund um die Erde zu schichten? Wo war der Sinn? Wenn es aber nicht unendlich war, war er dann allmächtig? In seiner Überheblichkeit trieb es ihn persönlich nach Rom, um dort direkt mit dem Papst über seine Erkenntnisse zu disputieren. Doch schon nach kurzer Zeit merkte er, dass man ihn für einen Ketzer hielt und nicht für einen Weisen. Den Papst bekam er nie zu Gesicht, und so entschloss er sich, nachdem er mehrmals schwören musste, der Ketzerei zu entsagen, ins Kloster San Domenico Maggiore zurückzukehren.
Die zwei Bände mit Schriften von Hieronymus und Johannes Chrysostomos mit den verbotenen Fußnoten des berüchtigten Kirchenkritikers Erasmus von Rotterdam, die er im Abtritt des Klosters versteckt gehalten hatte, waren in einer kleinen Kammer neben dem Scriptorium verschlossen, nachdem sie von zwei Mönchen zufällig entdeckt worden waren. Erasmus galt als einer der Wegbereiter der Reformation, der nur allzu gern die Kritik der beiden Kirchenväter aufgenommen hatte, um gegen Missstände in der verweltlichten Kirche anzukämpfen. Zwar hätte Giordano leugnen können, dass er es gewesen war, der die Bücher versteckt hatte, doch dazu war er zu stolz. Erhobenen Hauptes hatte er dem Prior empfohlen, die Bücher doch selbst einmal zu lesen, falls er es nicht ohnedies bereits getan hatte. Giordano kannte den Trick, mit dem man das Schloss der kleinen Kammer mühelos öffnen konnte. Gespannt horchte er in die stille Nacht, ob jemand erwacht war, tastete blind an dem Regal entlang, das sich rechts der Eingangstür befand, und schon nach wenigen Augenblicken erfühlten seine suchenden Finger den Stoff, in den die beiden Bücher eingeschlagen waren. Oft genug hatte er heimlich einen Blick in die Kammer geworfen, um zu erspähen, welche verbotenen Schätze dort lagerten, und so wusste er sich in der Dunkelheit genau zurechtzufinden. Obwohl er kaum zu widerstehen vermochte, mehr als die beiden Bände konnte er beim besten Willen nicht auf seiner Flucht mitnehmen.
Am späten Abend würde er in Nola ankommen. Seine Mutter würde die Hände über den Kopf zusammenschlagen und sich dann über das plötzliche Auftauchen des Sohnes freuen, ihm ein kräftiges Mahl bereiten, während er sich im Zuber hinter dem Haus waschen und danach mit einer von seiner Mutter bereitgestellten Tinktur die wund gelaufenen Füße behandeln würde.
Giordano verließ das Kloster durch einen kleinen Seitenausgang und trat seinen Weg an, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er sah die Sterne über sich, sah in der Ferne den vom Vollmond beschienenen Vesuv, und zwischen den engen Gassen konnte er unscharf das Meer erkennen. Was er nicht sah, war der Schatten, der ihm heimlich folgte.
Kapitel 2
1. Dezember 1595
„Leugnest du, Bruder Giordano, die Unwahrheit über die Heilige Dreifaltigkeit im Lande verbreitet zu haben?“
Giordano spürte, dass seine Beine ihm gleich wieder den Dienst versagen würden. Drei Tage hatte er keine Nahrung mehr bekommen. Das Wasser, das sie ihm einmal am Tag in einem Napf in seine dunkle Zelle schoben, schmeckte abscheulich, und er wusste, dass sich auch seine Zellenmitbewohner, die Ratten, daran gütlich taten, sobald er schlief oder eine Ohnmacht ihn übermannte. Nein, er wollte nicht aufgeben, sich nicht beugen vor der Inquisition. Über sechs Jahre waren nun vergangen, seit sie ihn aus den Bleikammern des Dogenpalastes in Venedig hierher in die Engelsburg nach Rom gebracht hatten. Bis zur letzten Minute hätte sich ihm die
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