Die Kreuzfahrerin
Bruder, der Vesuv. Beide riefen in ihm die Sehnsucht nach dem Wissen, was wohl hinter diesen Bergen sein mochte, hervor. Giordano hatte etwas Zeit gewonnen.
„Gott …“
„Du wagst es, den Namen des Allmächtigen in den Mund zu nehmen?“, wurde Giordano jäh erneut unterbrochen.
„Gott ist mächtig und groß und kann viele Welten schaffen.“ Nun ließ er sich nicht mehr beirren. Noch einmal nahm er einen Anlauf. „Ihr gottverdammten, scheinheiligen, dummen Esel!“ Seine Wut war wieder erstarkt, hielt die körperliche Schwäche in Bann. Ein lautes Murren ging durch das Offizium. Die Wachen, die ihn zum Verhör gebracht hatten, machten sich bereit, ihn auf ein Zeichen des Kardinals Bellarmin wieder in seine Kerkerzelle zu bringen.
„Gott ist zu groß, als dass er sich mit dieser einen, kleinen Welt zufriedengeben würde.“ Giordano redete sich langsam in Rage. „Seht ihr Narren denn nicht, dass sich die Gestirne bewegen, dass sie nicht, wie ihr den Menschen glauben macht, am Firmament festgenagelt sind? Nein, ihr wisst es nur zu gut. Ihr seid die wahren Ketzer!“ Seine Stimme überschlug sich förmlich. „Ihr macht Gott klein, um euch zu erhöhen.“ Das Murren in den Reihen der Inquisitoren schwoll zu einem Donnern. Die Stimmung im Offizium näherte sich dem Siedepunkt.
„Euch geht es nur darum, dass ihr den Mittelpunkt der Welt darstellt. Oh, ihr kleingeistigen, egoistischen, biblischen Buchhalter, merkt ihr denn nicht, wie ihr den Großen, den Allmächtigen dadurch verhöhnt?“
Die Inquisitoren starrten gebannt auf den Vorsitzenden. Was würde er tun? Tatsächlich war nun auch Bellarmin der ganzen Situation überdrüssig. Er gab ein Zeichen, und sofort ergriffen die beiden Wachen den Angeklagten, um ihn wieder abzuführen.
„Ihr seid es, die ihr endlich zugeben müsst, was ihr doch längst schon wisst. Ihr seid die wahren Ketzer.“ Das Geschrei des Gefangenen hallte noch durch die steinernen Mauern, als er schon längst die unbehauenen Steinstufen, die zu den Kerkern der Engelsburg führten, hinuntergeschleift wurde. In seiner Zelle angekommen, fiel Giordano sofort in eine tiefe Ohnmacht. Er hörte nicht mehr die unflätigen Witze, die die Wachen über ihn machten, und er hörte nicht das Flehen und Wimmern der Mitgefangenen, die zur Folter abgeholt wurden.
Mitten in der Nacht erwachte er. Es war stockfinster, nur das Rascheln neben ihm im Stroh verriet, dass er seine zwei mal zwei Meter große Zelle diese Nacht wieder mit ein paar Ratten teilte. Die Wachen hatten die Fackeln im Gang vor der Zelle gelöscht. Von weitem war ihr Schnarchen durch die rostigen Gitterstäbe zu hören. Die absolute Finsternis ließ die Gedanken an die Unendlichkeit wieder in ihm wach werden. Doch wohin hatte sie ihn gebracht, die Unendlichkeit? Giordano fühlte Tränen in sich aufsteigen. Er wollte das Gefühl unterdrücken, aber es gelang ihm nicht. Das Salz der Tränen brannte auf seinen rauhen Lippen, doch diesen Schmerz spürte er nicht. Es war ein anderer Schmerz, der in ihm nagte. Er kaute auf seiner Unterlippe, doch die Tränen ließen sich nun nicht mehr aufhalten. Ab und zu war das Rasseln einer Kette zu hören, wenn sich ein Gefangener im Schlaf bewegte. Meist waren es die Neuankömmlinge, die ihr Schicksal nicht akzeptieren wollten, die man fesseln musste. Was hatte er falsch gemacht? Was hatte ihn hierhergebracht? Er wollte doch nichts Böses, wollte der Welt nur die Augen öffnen, wollte ihr die Allmacht Gottes verdeutlichen. Das war seine Frohbotschaft. Nicht das Drohen der Kirche. Nein, frei und glücklich sollten die Menschen sich an den Wundern Gottes in der Natur erfreuen können. Ach, hätte er doch auf den guten Guiseppe gehört. Er hatte ihn vor den Fanatikern gewarnt. Was wohl aus ihm geworden war? Aber er, Giordano, war selbst ein Verbohrter. Einer, der nur noch sich und seinen Drang zu höherer Weisheit und Erkenntnis kannte. Ein eitler Narr war er gewesen. Nicht genug hatte er bekommen können von den Auseinandersetzungen mit den Gelehrten an den Universitäten und an den Fürstenhöfen. Hochmut und Eitelkeit – sie hatten ihn in diesen Kerker gebracht, und nun war alles vorbei. Giordano schluchzte auf. Wem sollte er nun seine Gedanken weitergeben? Wem sein Wissen übermitteln, auf dass es weiter blühe und gedeihe und in die Welt hinausgetragen werde? Vielleicht hätte er doch einen ganz anderen Weg wählen sollen. Seinem Begehren nachgeben, wenn er eine Frau getroffen hatte, die seine
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