Die Kunst des klugen Handelns: 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen (German Edition)
schenken.« Den Versuchspersonen der zweiten Gruppe sagte er: »Schreibt auf, was euch zu jedem Produkt einfällt, und ich werde euch am Ende des Experiments einen Artikel schenken.« Unmittelbar danach musste jeder Student die Hand in eiskaltes Wasser stecken und möglichst lange ausharren. Das ist in der Psychologie die klassische Methode, um die Willenskraft beziehungsweise Selbstdisziplin zu messen – denn es braucht Willenskraft, um gegen den natürlichen Impuls anzukämpfen, die Hand aus dem Wasser zu ziehen.
Das Resultat: Die »Entscheider« rissen die Hand viel früher aus dem Eiswasser als die »Nichtentscheider«. Die intensive Entscheidungsarbeit hatte sie Willenskraft gekostet – ein Effekt, der in vielen anderen Experimenten bestätigt wurde.
Entscheiden ist also anstrengend. Jeder, der mal einen Laptop online konfiguriert oder eine lange Reise inklusive Flügen, Hotels und Freizeitangeboten zusammengestellt hat, kennt das Gefühl: Nach all dem Vergleichen, Abwägen und Entscheiden ist man erschöpft. Die Wissenschaft nennt das Entscheidungsermüdung (englisch: Decision Fatigue ).
Entscheidungsermüdung ist gefährlich. Als Konsument werden Sie anfälliger für Werbebotschaften und Impulskäufe. Als Entscheidungsträger werden Sie anfälliger für erotische Verführungen. Im Kapitel über Prokrastination haben wir gesehen: Willenskraft funktioniert wie eine Batterie. Nach einer Weile ist sie leer und muss wieder aufgeladen werden. Wie? Indem man Pause macht, sich entspannt, etwas isst. Hat Ihr Kreislauf zu wenig Blutzucker, fällt die Willenskraft zusammen. IKEA weiß das nur allzu gut: Auf dem langen Weg durch 10.000 Artikel macht sich bei den Konsumenten Entscheidungsermüdung bemerkbar. Darum befinden sich die IKEA-Restaurants genau in der Mitte des Rundgangs. IKEA opfert gern etwas von der Marge auf Schwedentorten, wenn Sie danach wieder fit genug sind, um sich für Kerzenständer zu entscheiden.
Vier inhaftierte Männer eines israelischen Gefängnisses ersuchten das Gericht, frühzeitig entlassen zu werden. Fall 1 (vom Gericht angehört um 8:50 Uhr): ein Araber, zu 30 Monaten verurteilt für Betrug. Fall 2 (13:27 Uhr): ein Jude, zu 16 Monaten verurteilt für Körperverletzung. Fall 3 (15:10 Uhr): ein Jude, zu 16 Monaten verurteilt für Körperverletzung. Fall 4 (16:35 Uhr); ein Araber, zu 30 Monaten verurteilt für Betrug. Wie urteilten die Richter? Entscheidender als die Religion oder die Schwere des Verbrechens war die Entscheidungsermüdung der Richter. Den Gesuchen 1 und 2 wurde stattgegeben, weil der Kreislauf der Richter voller Blutzucker war (vom Frühstück beziehungsweise Mittagessen). Die Gesuche 3 und 4 wurden abgelehnt. Die Richter brachten nicht genug Willenskraft auf, um das Risiko einer frühzeitigen Entlassung einzugehen. Folglich fielen sie auf den Status quo zurück (der Mann bleibt im Gefängnis). Eine Studie über Hunderte von Gerichtsentscheiden zeigt: Der Prozentsatz von »mutigen« Gerichtsentscheiden fällt innerhalb einer Gerichtsverhandlung von 65 % fast auf null und steigt nach einer Pause abrupt wieder auf 65 % an. So viel zur sorgfältig abwägenden Justitia. Und so viel auch zur Eingangsfrage, um welche Zeit Sie Ihr Projekt dem CEO präsentieren sollten.
WARUM SIE HITLERS PULLOVER NICHT TRAGEN WÜRDEN
Berührungsdenkfehler
Würden Sie einen frisch gewaschenen Pullover anziehen, den Adolf Hitler einst getragen hat?
Im neunten Jahrhundert, nach dem Zerfall des karolingischen Reichs, versank Europa – besonders Frankreich – in Anarchie. Grafen, Burgvögte, Ritter und andere lokale Herrscher kämpften pausenlos gegeneinander. Die rücksichtslosen Haudegen plünderten Bauernhöfe, vergewaltigten Frauen, zertrampelten Ährenfelder, verschleppten Pfarrer und zündeten Klöster an. Weder die Kirche noch die Bauern konnten dem irrsinnigen Kriegstreiben des Adels etwas entgegensetzen. Im Gegensatz zu den Rittern waren sie waffenlos.
Im zehnten Jahrhundert kam dem Bischof von Auvergne eine Idee. Er bat die Fürsten und Ritter, sich an einem bestimmten Tag auf einem Feld zu einer Art Symposium einzufinden. Pfarrer, Bischöfe und Äbte sammelten derweil alle Reliquien, die sie in der Umgebung auftreiben konnten, und stellten sie auf dem Feld aus – Knochenstücke von verstorbenen Heiligen, blutgetränkte Stofffetzen, Steine und Fliesen, ja überhaupt alles, was je in Berührung mit Heiligen gekommen war. Der Bischof – damals eine Respektsperson – forderte nun
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