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Die Kunst des Pirschens

Titel: Die Kunst des Pirschens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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lauerte in der Dunkelheit, irgend etwas, das keine Form oder Farbe hatte. Ich konnte nicht mehr allein sein. Ich erwachte schreiend, und nach ein paar Tagen konnte ich nicht mehr schlafen. Alle leisteten mir abwechselnd Gesellschaft, Tag und Nacht.«
    »Als der Nagual und Genaro wiederkamen«, sagte Nestor, »schickte der Nagual mich mit Genaro zusammen los, um den Stein genau an die Stelle zu bringen, wo er vergraben gewesen war. Genaro arbeitete drei Tage lang, um die Stelle zu finden. Und er schaffte es.“
    »Was geschah danach mit dir, Gorda?« fragte ich sie.
    »Der Nagual begrub mich«, sagte sie. »Neun Tage lang lag ich in einem Sarg aus Erde.«
    Wieder brachen sie in explosionsartiges Gelächter aus.
    »Der Nagual hat ihr gesagt, sie dürfe nicht heraus«, erklärte Nestor. »Die arme Gorda mußte in ihren Sarg pissen und scheißen. Der Nagual steckte sie in einen Kasten, den er aus Zweigen und Lehm gemacht hatte. An der Seite gab es ein kleines Türchen für Nahrung und Wasser. Ansonsten war er versiegelt.«
    »Warum begrub er sie?« fragte ich.
    »Das ist das einzige Mittel, um jemanden zu schützen«, sagte Nestor. »Sie mußte unter dem Erdboden liegen, damit die Erde sie heilen konnte. Es gibt keinen besseren Heiler als die Erde.
    Außerdem mußte der Nagual das Gefühl dieses Steines abwehren, das auf la Gorda ausgerichtet war. Der Sand wirkt wie eine Membran, die nicht alles durchläßt. Der Nagual wußte, daß es nicht schlimmer werden konnte mit ihr, wenn sie neun Tage begraben blieb; es konnte nur besser werden. Und das wurde es.«
    »Was war das für ein Gefühl, so begraben zu liegen, Gorda?« f ragte ich.
    »Ich wurde fast verrückt«, sagte sie. »Aber das kam nur daher, weil ich mich gehenließ. Hätte der Nagual mich nicht da hineingesteckt, dann wäre ich gestorben. Die Kraft dieses Steines war zu groß für mich. Sein Besitzer war ein sehr großer Mann gewesen. Ich spürte, daß seine Hand zweimal so groß wie meine gewesen sein mußte. Er hielt sich an diesem Stein ums liebe Leben fest, und am Ende tötete ihn jemand. Seine Angst erschreckte mich. Ich spürte, wie etwas immer näher kam, um mein Fleisch zu verzehren. Das war's, was dieser Mann gespürt hatte. Er war ein mächtiger Mann, aber ein noch mächtigerer machte ihm den Garaus.
    Wenn man einen solchen Gegenstand besitzt, so sagte der Nagual, bringt er nur Verhängnis, denn seine Kraft läßt sich auf Machtproben mit anderen solchen Gegenständen ein, und der Besitzer wird entweder zum Verfolger oder zum Opfer. Der Nagual sagte, es sei die Art solcher Gegenstände, miteinander Krieg zu führen, denn jener Teil unserer Aufmerksamkeit, der sich auf sie richtet und ihnen Kraft verleiht, ist ein sehr gefährlicher, kriegerischer Teil.«
    »La Gorda ist sehr habgierig«, sagte Pablito. »Sie meinte, wenn sie irgend etwas fände, das bereits eine Menge Kraft enthielte, könnte sie eine Gewinnerin werden, weil heutzutage niemand ein Interesse an Machtproben hat.«
    La Gorda bestätigte dies mit einem Kopfnicken.
    »Ich wußte nicht, daß man außer der Kraft, die die Gegenstände haben, auch noch andere Dinge einfangen kann«, sagte sie. »Als ich zum erstenmal meinen Finger durch das Loch steckte und den Stein festhielt, wurde meine Hand heiß, und mein Arm fing an zu zittern. Ich fühlte mich wirklich groß und stark. Ich bin gerissen, darum merkte niemand, daß ich den Stein in der Hand hatte. Nachdem ich ihn ein paar Tage festgehalten hatte, fing der wahre Horror an. Ich spürte, daß irgend jemand hinter dem Besitzer des Steines her war. Ich spürte seine Angst. Er war zweifellos ein sehr mächtiger Zauberer, und wer immer hinter ihm her sein mochte, wollte ihn nicht nur töten, sondern auch sein Fleisch essen. Das machte mir wirklich Angst. Ich hätte den Stein damals wegwerfen sollen, aber das Gefühl, das ich hatte, war so neu für mich, daß ich den Stein wie eine verdammte Närrin in der Hand behielt. Als ich ihn schließlich fallenließ, war es zu spät. Irgend etwas in mir hing fest. Ich hatte Visionen von Männern, die zu mir kamen, Männer in seltsamen Kleidern. Ich spürte, wie sie mich bissen, wie sie mir mit scharfen kleinen Messern und mit ihren Zähnen das Fleisch von den Beinen rissen. Ich fing an zu toben!«
    »Wie erklärte Don Juan diese Visionen?« fragte ich sie.
    »Er sagte, daß la Gorda keine Abwehr mehr hat«, sagte Nestor. »Und deswegen konnte sie die Fixierung dieses Mannes einfangen, seine zweite

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