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Die Kunst des Träumens

Die Kunst des Träumens

Titel: Die Kunst des Träumens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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als Sphäre realer Ereignisse.
    Dies aber taten die alten Zauberer, soviel ich weiß«, fuhr Don Juan fort. »Aber leider verpatzten sie schließlich alles. Sie wurden anmaßend, und als sie vor einem wichtigen Scheideweg standen, gingen sie in die falsche Richtung. Sie legten, sozusagen, alle Eier in einen Korb. Was ich meine, ist die Fixierung des Montagepunkts auf all die zahllosen Positionen, die er einnehmen kann.« Don Juan wunderte sich, daß von all den Wundern, welche die alten Zauberer beim Erforschen dieser unzähligen Positionen des Montagepunktes lernen durften, nur die Kunst des Träumens und die Kunst des Pirschens Übriggeblieben seien. Bei der Kunst des Träumens, wiederholte er, ginge es um die Verschiebung des Montagepunkts. Die Kunst des Pirschens hingegen definierte er als die Kunst, den Montagepunkt an der Stelle zu fixieren, an die er sich verschoben hat.
    »Den Montagepunkt an einer neuen Stelle zu fixieren bedeutet. Kohäsion oder Zusammenhalt zu gewinnen«, sagte er. »Genau dies tust du bei deinen Traumübungen.«
    »Ich dachte, ich sollte meinen Energiekörper schulen«, sagte ich, leicht erstaunt über seine Worte.
    »Ja, das tust du. Aber noch viel mehr. Du lernst dabei, Kohäsion zu gewinnen. Dies gelingt beim Träumen, denn der Träumer muß lernen, seinen Montagepunkt zu fixieren. Die Traum-Aufmerksamkeit, der Energiekörper, die zweite Aufmerksamkeit, die Beziehung zu anorganischen Wesens, der Traumbotschafter - all dies sind nur Nebenprodukte beim Erwerb von Kohäsion. Mit anderen Worten, sie alle sind Nebenprodukte der Fixierung des Montagepunktes auf eine Reihe von Traumpositionen.«
    »Was ist eine Traumposition, Don Juan?«
    »Eine neue Position, in die sich der Montagepunkt im Schlaf verschoben hat.«
    »Wie fixieren wir den Montagepunkt in einer Traumposition?«
    »Indem wir den Anblick irgendeines Gegenstandes in einem Traum festhalten, oder indem wir bewußt die Träume wechseln. Bei deinen Traumübungen übst du in Wirklichkeit deinen Zusammenhalt ein; das heißt, du übst deine Fähigkeit, neue Energiegestalten beizubehalten, indem du den Montagepunkt in der Position eines bestimmten Traums fixierst, den du gerade träumst.«
    »Kann ich wirklich eine neue Energiegestalt beibehalten?«
    »Nicht eigentlich; und nicht deshalb, weil du's nicht tun könntest, sondern nur. weil du den Montagepunkt verlagerst, statt ihn zu bewegen. Verlagerungen des Montagepunkts bewirken winzige Veränderungen, die praktisch unbemerkt bleiben. Die Herausforderung bei den Verlagerungen besteht darin, daß sie so klein und so zahlreich sind, daß es schon ein Triumph ist, bei alledem den Zusammenhalt zu wahren.«
    »Wie erkennen wir, daß wir unseren Zusammenhalt wahren?«
    »Wir erkennen es an der Klarheit unserer Wahrnehmungen. Je klarer der Anblick unserer Träume, desto größer ist unser Zusammenhalt.«
    Und dann sagte er mir, es sei an der Zeit, daß ich eine praktische Anwendung fände für das, was ich beim Träumen gelernt hätte. Ohne mir die Chance zu weiteren Fragen zu lassen, forderte er mich auf, meine Aufmerksamkeit - ganz wie im Traum - auf das Laub eines Baumes zu konzentrieren, der nicht weit von uns in der Wüste stand, eines Mesquitestrauches. »Soll ich ihn anstarren?« fragte ich.
    »Du sollst ihn nicht einfach anstarren; du sollst etwas ganz Besonderes mit seinem Laub machen«, sagte er. »Erinnere dich daran, daß du in deinen Träumen, sobald du den Anblick eines Gegenstands festhalten kannst, in Wirklichkeit die Traumposition deines Montagepunktes beibehältst. Starre jetzt also auf dieses Laub, als ob du im Traum wärst, aber mit einer leichten, wenn auch wichtigen Abwandlung: du sollst deine Traum-Aufmerksamkeit auf die Blätter des Mesquitestrauchs richten, und zwar in deinem alltäglichen Bewußtseinszustand.«
    Ich war zu nervös, um ihm zu folgen. Geduldig erklärte er mir noch einmal, daß ich, indem ich das Laub anstarrte, eine winzige Verschiebung meines Montagepunktes erzielen würde. Und dann würde ich, indem ich beim Anstarren einzelner Blätter meine Traum-Aufmerksamkeit aktivierte, tatsächlich diese winzige Verschiebung fixieren; und meine Kohäsion würde mir erlauben, mit Hilfe der zweiten Aufmerksamkeit wahrzunehmen. Lachend meinte er noch, die Sache sei so kinderleicht, daß sich Erklärungen erübrigten.
    Nun ja, Don Juan hatte recht. Ich brauchte nur meinen Blick auf das Laub zu richten, ihn dort zu halten - und schon wurde ich in ein wirbelndes

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