Die Laute (German Edition)
Sinn dieser Feier nicht vor allem darin, dass es sich gerade nicht um eine Art Siegesfeier oder Pokalgewinn handelt, sondern dass das einfache, verdienstlose und vollkommen ungerechtfertigte Dasein gefeiert wird: »Wie schön, dass es dich gibt, Asis!«
Ob sich Gott wenigstens freut? Asis versucht, sich mit den Augen Gottes zu sehen. So sehr er sich auch bemüht, viel Liebenswertes kann er an sich nicht entdecken. Mit zwiespältigen Gefühlen registriert er die unübersehbaren Veränderungen, die in den letzten Monaten mit ihm vor sich gegangen sind. Das alles kam nicht unerwartet, ähnliche Veränderungen hat er bei seinen Kameraden, die ihm ein wenig voraus waren, bereits mit einer Mischung aus Befremden und Eifersucht studieren können: Das sprießende Haar unter den Achseln, zählbar noch, aber von ganz anderer Art als das Kopfhaar, knisternde, drahtige Spiralen, die Stimmen, rauer, tiefer nach Wochen des unentschiedenen Auf und Ab, und vor allem die Gerüche der schwitzenden Kameraden auf dem Fußballplatz, streng, animalisch, erwachsen, obwohl es, bis auf einen ersten schwarzen Flaum auf der Oberlippe, doch immer noch Kindergesichter sind.
Dann die verstörenden Auswüchse im Verborgenen, über die er mit niemandem reden kann. Nicht, dass er sich ernsthaft deswegen sorgte. Das filzige Tierhaar, dichter als in seinen Achselhöhlen, wird er, wie die anderen Männer, im Hamam abrasieren, wenn er sich das Barthaar zu schneiden beginnt. Dass alles nun größer und praller geworden ist, was vorher allein zum Pinkeln diente und sonst allenfalls einigen leichtfertigen Alten ein Anlass zu Zoten und Anspielungen bot, erfüllt ihn sogar mit zunehmendem Stolz, weiß er doch immerhin von Rüden, Hähnen und Böcken, wofür diese Körperteile über das Pinkeln hinaus noch Verwendung finden und dass für diesen Zweck durchaus auch die Größe zählt, um zum Ziel zu kommen oder zumindest Eindruck zu schinden.
Mehrfach hat er in amerikanischen Filmen gesehen, wie die Jungen über diese Dinge Witze reißen oder, noch erstaunlicher, mit ihren Eltern ernsthaft darüber reden. Ob das wahr ist? Unvorstellbar, mit seinem Vater darüber zu sprechen. Mit einem älteren Bruder vielleicht. Aber er hat keinen älteren Bruder.
Bis in die Träume reichen die Veränderungen. Hat er als Kind überhaupt geträumt? In den letzten Monaten sind die Träume so lebendig, dass er manchmal mitten in der Nacht aufgeschreckt ist, weil er die Traumerlebnisse für wirklich gehalten hat. Er hätte gerne gewusst, ob es den anderen genauso geht, mustert verstohlen die auf einmal fettigen und pickeligen Gesichter der Kameraden, die aussehen, als würden sie sich seit Wochen nicht mehr waschen, spürt denselben forschenden Blick auf sich selbst gerichtet, doch niemand spricht oder macht auch nur eine Anspielung auf die offensichtlichen Verwandlungen.
Früher hat er nicht über sich nachgedacht. Zumindest kann er sich nicht daran erinnern. Und nun vergeht kaum ein Tag, an dem ihm nicht etwas zur Frage wird, was ihm bisher immer selbstverständlich schien. Am fremdesten ist ihm das Gesicht, das ihn nun aus dem Spiegel anblickt. Es erweckt den Eindruck, als habe er es nie zuvor richtig gesehen, es war einfach sein Gesicht. Nun hat er Mühe, dieses fremde Antlitz mit sich selbst in Verbindung zu bringen. Es kommt ihm wie eine Maske vor, die er sich gewaltsam überstreifen musste, um überhaupt ein Gesicht zu haben. Sein Selbstbild ist eher roh und verschwommen, als habe man ihm die Haut abgezogen.
Das Gesicht im Spiegel wirkt, trotz einiger Pickel und Mitesser, durchaus ansehnlich: große schwarze Augen, eine gerade Nase, schön geschwungene Lippen, annähernd gerade weiße Zähne, einige Narben, die man aber nur sieht, wenn das Haar fingernagelkurz geschnitten ist, leicht abstehende Ohren, die allein der als störend empfindet, der Makellosigkeit mit Schönheit verwechselt.
Mag sein, dass die meisten dieses Gesicht alles in allem für ein liebenswertes halten würden, aber es ist eben nicht sein wirkliches Gesicht! Asis’ Miene verfinstert sich, er kneift die Augen zusammen und presst die Lippen aufeinander, ja, so sieht es seinem Selbstbild schon ähnlicher!
3
Die Tage verlaufen wie immer. Am Morgen geht Asis zur Schule, am Nachmittag spielt er mit seinen Kameraden Fußball und träumt von einer Profikarriere. Und manchmal hilft er seinem Onkel in der Werkstatt oder begleitet seine Mutter zu einem Arzt oder einer Behörde.
Doch dann, etwa zwei Wochen
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