Reiterhof Birkenhain 04 - Ein starkes Team
1. Kapitel
Hubschrauber auf der Weide
»Sieht ziemlich verboten aus, wie Herr Jensen auf der Leiter steht.«
Jule warf einen Blick zum Stallbesitzer hinauf, während sie eine Schubkarre aus der Geräteecke zerrte. In mehr als drei Meter Höhe balancierte Kai Jensen vor dem Giebel seines alten Bauernhauses auf einer Leiter und machte sich am Dachbodenfenster zu schaffen.
»Nun mal keine Panik.« Conny, ebenfalls zwölf wie ihre Freundin, stieß sie belustigt an. »Der Mann steht nicht zum ersten Mal auf der Leiter.«
»Trotzdem...«Jule schaute weiterhin stirnrunzelnd zu, wie der Besitzer des Reiterhofs Birkenhain an der Bodenluke herumschraubte.
»Neulich, als ich mit Sally unterwegs war, da bin ich von der Leiter gefallen. Aber wie! Wenn ich nicht im Gras gelandet wäre - dann läge ich jetzt im St. Martin, das kannst du mir glauben.« St. Martin, damit meinte sie das große Unfallkrankenhaus in der Hamburger City.
Am Fuß der Leiter stapelten sich acht Strohballen, teilweise auseinander geplatzt. Vorhin hatte Harry, der Strohbauer aus Seedorf, mit Trecker und Gitterwagen 280 Ballen auf den Reiterhof in Großmoorstedt gebracht. Nachdem er die gesamte Fuhre mit Herrn Jensen auf den Boden verfrachtet hatte, holte Harry jetzt Nachschub. Eigentlich passte Herrn Jensen die Lieferung an diesem Tag gar nicht. Montags hatte nämlich sein Assistent Axel Rakete frei. Andererseits - Heu und Stroh konnten nur bei Trockenheit geliefert werden und dafür war dieser sonnige Juninachmittag ideal.
»Harry kommt noch mal«, rief Herr Jensen von oben herunter. »Bis dahin muss dieses verdammte Fenster richtig hängen.«
Er ruckelte an den Aufhängezapfen in der Mauer. »Ihr seht ja, es hängt total schief. Entweder klemmt es oder es fliegt plötzlich auf. Hat mir vorhin die Strohballen regelrecht aus der Hand geschlagen, das blöde Ding.« »Soll ich die Leiter festhalten?«, bot Jule an. »Damit sie nicht rutscht?« Sie nutzte jede Gelegenheit, um Herrn Jensen einen Gefallen zu tun. Sozusagen als Wiedergutmachung. Sie rechnete es ihm hoch an, dass er keinen Krach geschlagen hatte, als sie kürzlich fünf Tage verschwunden war. Das war hochanständig von ihm - immerhin hatte sie sein Schulpferd Sally mitgenommen. »Nicht nötig«, brummte Herr Jensen, lehnte sich zur Seite und holte eine Hand voll Schrauben aus seinen Jeans.
Jule gab nicht auf.
»Dann schiebe ich aber wenigstens das Stroh hinter die Leiter.«
Sie bückte sich, griff einen Ballen nach dem anderen und verteilte sie gleichmäßig rund um die Leiter. »Persönlicher Aufprallschutz«, sagte sie. »Eine Art Airbag. Besser gesagt Strohbag. Für alle Fälle ...«
»Sieh lieber zu, dass du bald auf der Weide bist«, tönte es von oben. »Pferdeäpfel absammeln. Die anderen sind schon gleich fertig, so wie ich das von hier überblicke.« Auch noch undankbar, der Mann.
Er sollte ihr für ihre Vorsicht lieber einen Pokal in Aussicht stellen. Jule schluckte eine entsprechende Bemerkung hinunter. Schließlich musste sie alles daransetzen, dass Herr Jensen wieder einen guten Eindruck von ihr bekam - nach ihrer Flucht mit Sally.
Jule schnappte sich die Schubkarre und schob los in Richtung Weide. Das schlappe Gummirad eierte durch den Sand des Auslaufs.
Luisa, ihre zehnjährige Reiterfreundin, kam ihr mit voll beladener Karre entgegen. »Warum gibt es für Pferde eigentlich keine Katzenklos?«, beschwerte sie sich. »In groß natürlich. Man läuft sich ja die Füße wund, bis man alle Pferdeäpfel eingesammelt hat.«
»Ich möchte bloß wissen, was Herr Jensen ohne uns tun würde«, sagte Jule. »An Tagen wie heute müssten wir noch einen Härte-Zuschlag bekommen.«
»Wegen der Hitze?«
»Das auch. Aber vor allem weil die Pferde auf der Weide sind. Dann kommst du doch gar nicht zum Arbeiten. Die betteln dich nur an.«
Luisa nickte. »Stimmt. Guck mal, wie die Fjordies sich an Conny ranmachen.« Sie drehte sich um. »Kalle wieder voll der Frechdachs! Ah, jetzt auch noch Rocky ...« »Kein Leckerli geben, Conny«, brüllte Herr Jensen von seinem Ausguck zur Weide hinüber. »Sonst hast du gleich alle Pferde an der Socke. Und dann gibt es das schönste Gebeiße ...«
Conny kratzte sich am Ohr und tat so, als ob sie ihr blondes Haar zurückstreichen wollte. Ihrem Reitlehrer entging aber auch nichts. Natürlich hatte sie ein paar Leckerli in der Faust. Klar, sie wusste, dass man die nicht auf der Weide verfüttert. Aus Futterneid-Gründen. Aber ihr Lieblingspferd
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