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Die letzte Flut

Die letzte Flut

Titel: Die letzte Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Findley
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dicht gefältelter ungebleichter Baumwolle zum Vorschein – über die Schulter blickte sie in den Schacht wie eine Schauspielerin, die durch eine Falltür die Bühne betritt und rückwärts ins Rampenlicht emporsteigt.
    Das summende Geräusch, das den Auftritt der Frau begleitete, wurde immer lauter – und als die Frau zwei große, geflochtene Bienenkörbe auf das Deck hob und sie in die Sonne stellte, war jedem klar, um was für ein Geräusch es sich handelte. Die Frau warf einen suchenden Blick um sich, um zu sehen, ob ein anderer Platz für ihre Bienenkörbe vielleicht geeigneter sei, doch schließlich schob sie die Körbe nur etwas von der Tür weg und trat zurück, um sie bewundern zu können.
    Dass diese Frau Luci war, konnte zunächst niemand erkennen. Nur ihre riesige Gestalt erinnerte an ihre anderen Verkörperungen. Jetzt waren ihre Haare weder schwarz noch rot – sondern honigfarben – und sie waren weder eingerollt und auf dem Kopf hoch getürmt noch kurz geschoren oder gewellt. Dieses Mal war ihr Haar lang und glatt und reichte hinten bis zu den Schulterblättern. Ihr Gesicht war diesmal weder rund noch kantig, sondern breit und flach, mit seltsamen Augen von einer fast goldenen Farbe: Tieraugen, wild und zärtlich. Die Augen eines Propheten, dessen Worte, genauso wenig befolgt würden wie die Warnschreie eines Tieres.
    Als sie die Bienenstöcke endlich gerichtet und auch für sich einen geeigneten Platz gefunden hatte, nahm Luci die geflochtenen Deckel ab. Sie ließ die Bienen entweichen, dann ging sie weg und setzte sich hoch oben auf den Portikus über der Treppe, die zum Laderaum führte. In dieser Position diente sie den Bienen als eine Art Leuchtfeuer; sie bildeten sofort eine Säule um sie und schienen sie völlig zu umzingeln. Doch bald flogen sie höher und formten eine Wolke, um Luci vor der Sonne zu schützen.
    Zur etwa gleichen Zeit, als Luci sich auf dem Portikus niederließ, zeigte sich eine weitere Gestalt, ebenfalls weiß – doch blutbefleckt; sie kam aus dem Kastell und stellte sich an die eine Seite der Arche, etwa zehn Schritte von der Stelle entfernt, wo Luci saß.
    Keiner sprach ein Wort. Luci bekundete weder Wut noch Überraschung darüber, dass eine ihrer Gefangenen hier frei herumlief, und Hannah gab kein Anzeichen dafür zu erkennen, dass die Anwesenheit so vieler Bienen sie beunruhigte. Keine der beiden Frauen grüßte die andere – beide verhielten sich genauso kühl, wie sie es immer getan hatten. Ob jede von ihnen die Anwesenheit der jeweils anderen überhaupt zur Kenntnis nahm, war nicht deutlich, so diskret waren ihre Reaktionen – eine leichte Neigung des Kopfes – ein Innehalten vor einer Bewegung: mehr nicht.
    Hannah, die genug Tränen vergossen hatte, trug ihr Kind in seinem Leichentuch. Ihre Haltung drückte so viel Strenges – so viel Förmlichkeit aus –, dass es sich ebenso gut um ein gewöhnliches Paket hätte handeln können, was sie trug – einen Gegenstand nur –, nichts, das lebendig war oder auf irgendeine Weise Leben in sich geborgen hatte. Doch Hannah musste der Tatsache ins Auge sehen, dass sie das Gefäß dieses Kindes gewesen war. Ob bewusst oder nicht – ob zu Recht oder nicht –, es gehörte ihr. Also erwies sie ihm die Ehre, die ihm zustand: Sie hielt es, ganz kurz, an ihre Brust, küsste es auf den Kopf und streichelte seinen Rücken, als wäre es ein Mensch – dann warf sie es ins Wasser – wo es eine ganze Weile obenauf schwamm und irgendwann ziemlich weit von der Arche weggetrieben wurde, bis es außer Sicht war, vermutlich war es schon unter der Wasseroberfläche verschwunden – obwohl Luci einen Augenblick dachte, es vielleicht später doch noch einmal flüchtig gesehen zu haben. Vielleicht war es auch nur ein Seevogel gewesen, denn draußen auf dem Wasser hatten mehrere Vögel die Richtung des Kindes genommen.
    Hannah ging ganz langsam zum Kastell zurück – warf nicht einen Blick über ihre Schulter –, zögerte nicht einmal eine Sekunde, bevor sie unter dem Vordach hineinging; sie lief einfach geradeaus und verschwand aus Lucis Blickfeld.
     
     
    Wenn Luci die Bienen an Deck bringen konnte, warum dann nicht auch andere Tiere?
    Mrs Noyes hatte die Idee, ihre Schafe hinaufzubringen, wo sie den Himmel sehen und frische Luft atmen und vielleicht ein Lied singen konnten.
    So stolperten der Widder und all seine Mutterschafe und Lämmer die Treppe hinauf, geblendet vom Glanz der Sonne und überwältigt von der Weite des Himmels

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