1717 - Die Fratze der Angst
Am allerliebsten mochte er es, wenn es noch frisch war, aber er nahm auch das alte, das bereits stank. So wie er, denn von ihm ging der abstoßende Geruch von Verwesung aus.
In seinem verwüsteten Gesicht rollten die Augen. Sie waren nicht mit denen eines normalen Menschen zu vergleichen. Bei ihm bestanden sie aus zwei Kugeln, deren Farbe ein schmutziges Weiß zeigte.
Noch hatte es niemand zu Gesicht bekommen. Das würde sich ändern, denn dieser Morgen sollte den Menschen hier unvergessen bleiben.
Das Ding presste sich mit dem Rücken gegen die Kirchenmauer. Der Klang der Glocke passte ihm nicht. Jeder Schlag schien ihm Schmerzen zu bereiten, denn er verzog immer das Gesicht. Normalerweise wäre er geflohen, doch er dachte an ihr warmes Fleisch.
Er würde über sie kommen wie eine Explosion. Endlich würden sie es am eigenen Leib erfahren und brauchten sich nicht mehr an die Gerüchte zu halten, denn es war bereits über ihn gesprochen worden, wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand und flüsternd.
Niemand wollte etwas zugeben, man fürchtete sich vor dem, was nicht sein durfte und trotzdem vorhanden war.
Georg Prantl war einer der Letzten, die aus der kleinen Kirche gingen. Er hatte sich Zeit gelassen und seine Schritte dem Klang der Glocke angepasst. Nach dem Halbdunkel in der Kirche war er froh, das helle Licht des Tages zu sehen. Ebenso wie den wunderbaren blauen Himmel, auf dem weiße Wolken wie Kissen schwammen. Es war das perfekte Bild für eine Postkarte, und Prantl dachte wieder mal daran, dass es etwas Wunderbares war, hier am Stadtrand von Salzburg wohnen zu dürfen.
Der Pfarrer war noch nicht nach draußen getreten. Er würde einen Seiteneingang nehmen und sich dann unter die Menschen mischen, um mit ihnen zu plaudern.
Es war noch kein Frühling, aber der erste Hauch lag bereits über dem Land. Obwohl noch an verschiedenen Stellen der Altschnee lag, schimmerten überall die Schneeglöckchen, und auch die Krokusse bildeten mit ihren violetten Farben einen wunderbaren Kontrast zu der noch winterlichen Erde, aus der sie gekrochen waren.
Georg Prantl war hier geboren. Nur wohnte er nicht mehr in dem kleinen Ort am Rand von Salzburg. Sein berufliches Feld hatte sich nach Wien verlagert. Hier im Ort ging man davon aus, dass er bei der Polizei war.
Das stimmte nur bedingt. Tatsächlich war Georg Prantl ein Mitglied des Geheimdienstes, aber das brauchte ja niemand zu wissen. Er war hier als Polizist angesehen, und auch seine Mutter war sehr stolz auf ihren Sohn und freute sich immer, wenn er sie mal wieder besuchte.
Das war auch jetzt der Fall gewesen. Nur unterschied sich dieser Besuch ein wenig von den anderen. Es gab da einen völlig verrückten Grund, auf den ihn seine Mutter gebracht hatte.
Es hatte Tage und auch Nächte gegeben, da hatte ein Leichengeruch über der Stadt gelegen. Oder zwischen den Häusern.
Das war den Menschen hier unerklärlich. Sie hatten sich auf die Lauer gelegt, Wache geschoben, um einen Grund für den Geruch zu finden. Sie hatten etwas gesehen, aber sie wussten nicht, ob es auch stimmte.
In der Nacht hatten sie seltsame Wesen entdeckt, die durch die Straßen gezogen waren. Nicht viele. Zwei oder drei. So sagten es jedenfalls die Zeugen aus. Angeblich hatten diese Menschen den Gestank verbreitet, und ein besonders Schlauer hatte sie als Dämonen bezeichnet.
Den Gestank, der sich irgendwann verflüchtigte, hätten sie ja noch hingenommen, doch es war zu Vorfällen gekommen, die nicht mehr akzeptiert werden konnten.
Tiere waren getötet worden. Regelrecht gerissen, als wäre ein Wolf in die Ställe mit den Schafen und Ziegen eingedrungen. Da waren die Bauern auf den umliegenden Höfen schon in eine leichte Panik geraten. Sie alle konnten sich keinen Reim auf das Geschehen machen. Erst der Gestank, dann die toten Tiere.
Georg Prantls Mutter war von mehreren Menschen angesprochen worden, doch mal ihren Sohn zu bitten, in den Ort zu kommen, um sich der Sache anzunehmen. Er war schließlich Polizist, ein Herr Kommissar oder Herr Oberst, so genau wussten die Menschen das nicht, und als gehorsamer Sohn hatte Georg Prantl der Bitte seiner Mutter entsprochen. Es war zudem recht einfach gewesen, denn er hatte noch einige Tage Urlaub zu bekommen.
Eine Woche hatte er genommen und auch daran gedacht, mal richtig Urlaub zu machen. Seine Eltern wohnten noch immer etwas außerhalb des Ortes in einem alten Haus, das in der letzten Zeit einen Anbau erhalten hatte, denn dort wurden
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