Die letzte Lagune
erworben hatte, den sie meine Pariser Jahre nannte. Ob er
nachfragen sollte? Nein, lieber nicht. Stattdessen sagte er:
«Wenn sie ihn überhaupt will.»
«Wie soll ich
das verstehen?»
«Sie hat sich
mit Marchmains Privatsekretär auf dem Sofa
gewälzt.» Tron berichtete der Principessa von der
bizarren Episode im Salon.
«Hervorragend», lachte
die Principessa. «Fehlt nur noch, dass die beiden
Engländer übereinander herfallen und Blut
fließt.» Sie lehnte sich zurück. «Was hast
du für einen Eindruck von Holly Parker?»
«Sie ist sehr
hübsch», sagte Tron. «Marchmain behandelt sie wie
eine Hausangestellte. Sie wirkt wie ein verschüchtertes
Häschen. Als sie Bossi und mich die Treppe hinuntergebracht
hat, da hat sie uns kein einziges Mal angesehen.»
«Kein Wunder,
nachdem ihr sie in dieser Situation erwischt hattet», meinte
die Principessa. «Aber zu einem verschüchterten
Häschen passt nicht, dass sie sich von zwei Männern
hofieren lässt.»
«Hofieren ist
gut», sagte Tron. «Ihre Bluse war halb
aufgeknöpft, als sie hinter der Sofalehne
hervorkam.»
«Ob Marchmain
weiß, was sich in seinem Haus abspielt?»
«Ich könnte
mir denken, dass er eine Annäherung zwischen Holly Parker und
diesem Lime sogar befördert. Einfach nur, um seinem Neffen
eins auszuwischen.»
«Was hältst
du von Flyte?»
«Ich finde ihn
nicht unsympathisch», sagte Tron. «Vielleicht ist er ja
wirklich einer großen Sache auf der Spur.» Er lockerte
seine Halsbinde und inspizierte die Meringues tête de
nègre, die Moussada serviert hatte. Die
Schokoladenstreusel, die er gerne höchstpersönlich auf
die Gebäckteilchen streute, weil die richtige Dosierung viel
Erfahrung erforderte, befanden sich in einem altertümlich
anmutenden Glas, aus dem ein silberner Löffel
ragte.
«Das Glas
wird dir Unglück bringen, Dandolo», sagte Tron
nachdenklich. «Was meinte der Priester mit diesem Satz? Die
Glasmanufakturen des Dogen? Das ist unwahrscheinlich. Offenbar ist
ein ganz bestimmtes Glas gemeint, dessen Besitz dem Eigentümer
Unglück bringt. Wie Petrelli das Glas aus dem Palazzo Tron
Unglück gebracht hat.»
«Ein Kelch der
Tränen und des Blutes?» Die Principessa sah Tron
spöttisch an. «Das klingt ziemlich
theatralisch.»
«Aber spannend.
Und nicht nur für Historiker», entgegnete Tron.
«Die Leute lieben Geschichten, die im Mittelalter spielen und
in denen Blut fließt. Vielleicht sollte ich Flyte
vorschlagen, die Tagebücher Zanetto Trons im Emporio zu
veröffentlichen.»
«Im Emporio ?» Der Tonfall der
Principessa ließ erkennen, dass sie von dieser Idee nicht
viel hielt.
«Es wäre
nicht das erste Mal», sagte Tron, «dass wir Prosa
abdrucken.»
«Spaurs Novelle
war absolut grauenhaft.»
Das musste Tron
zugeben. Die kurze Geschichte, die sich der Polizeipräsident
damals ausgedacht hatte, war so kindisch gewesen, dass selbst Trons
massive Eingriffe sie nicht retten konnten. Allerdings war die
Auflage des Emporio stark gestiegen, weil Spaur sein
altes militärisches Netzwerk dazu benutzt hatte, um im ganzen
Habsburgerreich Abonnenten zu akquirieren.
«Aber
warum», fuhr die Principessa fort, «sollte Flyte seine
Forschungsergebnisse im Emporio veröffentlichen?»
«Weil der Emporio della
Poesia eine
renommierte venezianische Zeitschrift ist und weil die Geschichte
Zanetto Trons eine venezianische Geschichte ist», beharrte
Tron. «Außerdem ist der Herausgeber des Emporio ein Nachfahre Zanetto
Trons. Es passt alles zusammen, und das müsste Flyte
einleuchten.» Er beförderte eine zweite Meringue auf
seinen Teller. Vier weitere Gebäckstücke warteten noch
darauf, notfalls von ihm allein verspeist zu werden. Die
Lebensmittelknappheit in Venedig hatte den Palazzo Balbi-Valier
noch nicht erreicht. «Und dann gäbe es vielleicht noch
einen weiteren Grund für ihn», sagte Tron,
«im Emporio zu
veröffentlichen.»
«Und
welchen?»
«Flyte braucht
Verbündete», sagte Tron. «Er steht von allen
Seiten unter Beschuss. Marchmain ist ein gefährlicher Gegner,
und vermutlich werden Lodron und Contarini den Druck auf Flyte noch
verstärken. Ganz abgesehen von dem Ungemach, das ihm von Limes
Seite droht. Vielleicht bildet Flyte sich die Ergebenheit von Holly
Parker ja nur ein.»
Tron hatte eigentlich
einen Kommentar zum Komplex Flyte-Holly-Lime erwartet - einem
klassischen Frauenthema. Aber die Principessa zündete sich
schweigend eine Maria Mancini an. Dann pustete sie
ein wenig Rauch über den Tisch und fragte etwas
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