Die letzte Lagune
auf die Kosten? Nein, sie hatte die Güte,
sich nach seinem Befinden zu erkundigen.
«Was macht der
Knöchel?»
Die Principessa hatte
die Frage in ihrem scharfen Toskanisch gestellt. In weichem veneziano hätte es sich
teilnahmsvoller angehört. Wenigstens, dachte Tron, hatte sie
ihn nicht mit dem Federhalter bedroht.
Er stöhnte
vorsichtshalber auf, bevor er antwortete. «Wenn ich sitze,
tut es nicht weh.»
Die Principessa warf
einen tadelnden Blick über den Tisch. «Das war kindisch,
Tron. Du hast es nicht nötig, vor Bossi
anzugeben.»
Das traf zweifellos
zu. Allerdings hatte er gestern nicht nur Bossi beeindrucken
wollen. Halb Venedig schien sich am frühen Nachmittag auf der
Eisfläche vor dem Molo versammelt zu haben, auch
Stadtkommandant Toggenburg war mit einem Dutzend Offizieren
erschienen. Tron hatte die Herren begrüßt, und gemeinsam
hatten sie Bossis Schlittschuhkünste bewundert. Der
Stadtkommandant hatte anerkennend geäußert, dass alle
seine - Trons - Beamte sehr
sportivo wären. Womit das
Verhängnis seinen Lauf nahm.
Was, zum Teufel, hatte
ihn geritten, Bossi um seine Schlittschuhe zu bitten? Ein
lokalpatriotischer Impuls? Jedenfalls hatte er zunächst mit
erstaunlicher Leichtigkeit losgelegt, war dann aber plötzlich
gestürzt und in einen Maronenstand gerutscht. Wo sich
herausstellte, dass er nicht wieder aufstehen konnte - sein linker
Knöchel tat höllisch weh. Also musste Bossi ihm auf die
Beine helfen und ihn anschließend vom Eis führen. Das
war ein kläglicher Abgang und nicht besonders sportivo. Andererseits lieferte
ein lädierter Knöchel einen ausgezeichneten Grund
dafür, den wohlgeheizten Palazzo Balbi-Valier ein paar Tage
lang nicht zu verlassen.
«Ich war
früher ein guter Schlittschuhläufer», sagte Tron.
«Und Bossis Stiefel mit den Kufen haben perfekt
gepasst.»
«Der Ispettore
ist dreißig Jahre jünger als du. Bist du sicher, dass
der Fuß nicht doch gebrochen ist?»
«Das ist er
nicht. Auch die Schwellung ist leicht abgeklungen», sagte
Tron.
Er hatte sich dazu
entschieden, einfach beides auf seinen Teller zu häufen,
Ananas und Erdbeeren. Die Principessa hatte
im letzten Jahr einen Reingewinn von knapp einer Viertelmillion
Lire gemacht. Er würde sie daran erinnern, falls sie sich zu
den Frühstückskosten äußern sollte.
Aber sie
äußerte sich nicht dazu. Sie fragte: «Gehst du
Montag wieder in die Questura?»
Einen Moment lang tat
Tron so, als würde er nachdenken. Dann klatschte er einen
Löffel Schlagsahne auf seine Ananasscheibe und schüttelte
den Kopf. Der wirkungslose Ofen in seinem Büro fiel ihm ein,
das feuchte Brennholz und die dünne Eisschicht, die er seit
ein paar Tagen morgens auf der Tinte vorfand.
«Wahrscheinlich
nicht», sagte er. «Außerdem ist im Moment nichts
los. Alle sind damit beschäftigt, sich warm zu halten. Niemand
hat Zeit, Verbrechen zu begehen. Das einzige Delikt, das in den
letzten zwei Tagen angezeigt worden ist, war ein Diebstahl von
Brennholz am Rialto.»
«Du meinst, der
Frost macht die Menschen edel, hilfreich und gut?»
«Der Frost macht
sie träge. Er senkt ihre Betriebstemperatur. Die Leute
versinken in eine Art Winterschlaf. Das hat nichts mit Moral zu
tun.»
«Das dürfte
dir entgegenkommen. Dann hast du Zeit für die neuen
Manuskripte.» Der Federhalter der Principessa vollführte
einen Stoß in Richtung der Papiere, die Tron gelesen hatte.
«Diesmal scheint es etwas besonders Interessantes zu
sein.»
Tron schüttelte
den Kopf. «Dies ist kein Manuskript für den Emporio.»
«Was denn
sonst?»
Eine berechtigte
Frage. Worum handelte es sich eigentlich? Um einen Reisebericht?
Tron hatte bisher nicht mehr als drei Seiten des Manuskriptes
gelesen. «Das ist das Tagebuch eines gewissen Zanetto
Tron», sagte er.
«Ein
Verwandter?»
«Offenbar. Aber
dieser Zanetto Tron ist seit sechshundert Jahren tot. Das hier ist
die italienische Übersetzung einer lateinischen Handschrift,
auf die ein englischer Historiker namens Flyte in der Biblioteca
Marciana gestoßen ist.»
«Was macht ein
englischer Historiker in der Marciana?»
«Er forscht
über den vierten Kreuzzug. Enrico Dandolo. Die Plünderung
von Byzanz.»
Die Principessa
lächelte säuerlich. «Würdest du dich ein wenig
genauer ausdrücken, Tron?»
«Was weißt
du über den vierten Kreuzzug?»
«Die Pferde von
San Marco?»
Tron nickte.
«Die gehörten auch zur Beute. Byzanz ist damals zwei
Wochen lang von uns geplündert worden. Die Pferde
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