0884 - Mondwölfe
Den Aschenbecher hatte sie neben sich gestellt. Hinter ihr schnarchte Jackson. Sie roch seinen Schweiß. Die Wände oder das Fenster vor ihr, integriert in eine Gaube, waren nicht isoliert. Das Zimmer ließ sich deshalb nur schlecht beheizen und war feucht.
Rita hustete, als sie den Zigarettenqualm »verschluckte«.
Das Schnarchen hörte für einen Moment auf. Sie befürchtete, daß Bill Jackson aufwachen würde, was zum Glück nicht eintrat. Er drehte sich nur auf die andere Seite und schlief weiter.
Die Frau drückte die Zigarette aus. Der Geschmack in ihrem Mund war undefinierbar. Plötzlich fror sie, und ihr fiel ein, daß sie nackt war.
Die Kleidung lag am Boden, aufgetürmt zu einem kleinen Hügel. Jackson war wie ein Wilder über sie hergefallen, kein Vorspiel, nichts, er hatte nur seinen Trieb befriedigen wollen.
Rita fand das Leben beschissen. Aber was sollte sie tun? Sie war vierzig, und für sie war der Zug schon abgefahren. Zwei gescheiterte Ehen, aus denen sie nie als Siegerin hervorgegangen war. Die Arbeitslosigkeit, dann mal wieder ein Job für einige Monate, sie krebste am Existenzminimum herum, und wenn es sie packte, dann gabelte sie sich hin und wieder einen Typen auf. Wenn er bezahlte, um so besser.
Rita sah nicht schlecht aus. Niemand merkte, daß sie ihre Haare hatte dunkel färben lassen. Auch mit ihrer Figur war sie noch einigermaßen gut dabei, aber ohne Schminke kam sie nicht aus. Das Leben hatte bereits Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen.
Rita erhob sich.
Zuerst schaute sie durch das Fenster. Die Welt dahinter schwamm im trüben Dunst. Die anderen Dächer sah sie als nasse Schatten. Schornsteine reckten dunkle Arme in die Höhe. London mußte längst erwacht sein, nur kriegte sie davon nicht viel mit.
Sie wollte etwas trinken. Schon einmal war sie aufgestanden und hatte sich gewaschen. Leider nicht mit warmem Wasser. Das funktionierte in der Nacht nicht.
Sie wußte, wo die Küche lag. Die war nicht größer als eine Vorratskammer. Eine Person hatte schon seine Probleme, eine zweite hätte nur gestört. In einem alten Kühlschrank fand sie Mineralwasser.
Sie öffnete den Verschluß, setzte die Flasche an und ließ das kalte Zeug in ihre Kehle gurgeln, was ihr unheimlich guttat.
Zweimal trank sie. Dann stellte sie die Flasche wieder weg und verzog dabei das Gesicht, weil sie aufstoßen mußte. Sie schüttelte sich leicht, schloß die Tür und verließ die Küche wieder. In der Wohnung gab es auch einen Miniflur und eine Naßzelle. Im Flur hing ein Spiegel, und vor ihm blieb sie stehen. Nackt betrachtete sie sich im Spiegel. Sie verzichtete darauf, das Licht einzuschalten, denn sie wollte sich nicht vor sich selbst erschrecken. An einem Morgen wie diesem in den Spiegel zu schauen, das konnte eine große Enttäuschung werden.
In einer Gesellschaft, wo immer mehr die Jugend und die Schönheit in den Vordergrund gedrückt wurden, wobei beides so vergänglich war, fühlte sich die Frau an die Wand geschoben. Sie war nicht mehr dort, wo die Action lief, und manchmal tat es ihr gut, wenn noch jemand für sie bezahlte.
Die Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, als sie daran dachte. Dieser Jackson hatte sie genommen, und sie hatte nichts dabei gefühlt, sondern daran gedacht, das Geld in Kleidung anzulegen. Sie kannte da einen Laden, in dem getragene Klamotten billig verkauft wurden. In die kleine Waschzelle mit der engen, tröpfelnden Dusche wollte sie nicht gehen, und auch das Frühstück konnte sich der Kerl in die Haare schmieren. Es war am besten, wenn sie in ihre Kleidung stieg und auf leisen Sohlen die Bude verließ.
Den dunklen Mantel hatte sie an einen Türhaken an der Innenseite aufgehängt. Wenn sie fertig war, würde sie ihn schnappen und sich dann zurückziehen.
In seiner Bude schnarchte der Kerl noch immer. Ein Bett, ein Schrank, ein kleiner Tisch, drei Stühle und eine Glotze nebst Videorecorder bildeten die Einrichtung. Es gab keine Gardinen, und der Boden war mit einer billigen Massenware ausgelegt. Selbst im Sommer konnte man hier trübsinnig werden und würde zusätzlich vor Hitze vergehen, wenn die Sonne auf dem Dach brannte.
Jackson lag jetzt auf dem Rücken. Sie war ihm in der Nacht des öfteren durch die Haare gefahren, und er hatte es auch nicht glatt gestrichen. Die dunkelbraunen Strähnen hingen ihm in die Stirn, als wollten sie sich mit den Bartschatten vereinigen.
Er schnarchte nicht mehr so laut, sein Atem ging jetzt ruhiger und regelmäßiger. Rita
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