Die letzte Lagune
ganz anderes.
«Was macht diese Geschichte für Rom und für Wien
eigentlich so interessant?», wollte sie wissen.
«Vielleicht hängt ja der Mord an Petrelli damit
zusammen.»
«Du bist wie
Bossi», sagte Tron. «Ihr wollt immer gleich die
großen Zusammenhänge.»
«Und was willst
du?»
«Erst mal
herausfinden, was Petrelli auf San Lazzaro gearbeitet hat»,
sagte Tron. «Und ob dort jemand mehr über ihn weiß
als seine Vermieterin.»
Die Principessa hob
die Augenbrauen. «Ist San Lazzaro nicht das Kloster, in dem
Zanetto Tron gestorben ist?»
«Das kann ein
reiner Zufall sein», sagte Tron. «Oder auch nicht. Aber
darüber denke ich später nach.»
Im Moment nämlich
hatte er Wichtigeres zu tun. Er stieß seine Kuchengabel durch
die zarte Kruste in den weichen Kern der Meringue und stellte
wieder fest, dass die Mousse au Chocolat, mit der jene gefüllt
war, eine perfekte Konsistenz besaß. Nicht zu weich und nicht
zu hart.
«Übrigens
sagt Flyte nicht alles, was er weiß», sagte die
Principessa auf einmal.
Da Tron die
Kuchengabel im Mund hatte, konnte er nicht sofort antworten.
«Wie kommst du darauf?»
«Es ist nur so
ein Gefühl.»
«Meist liegst du
mit deinen Gefühlen richtig.»
«Ich finde ihn
zu glatt, Tron. So, als hätte er bereits ein Geheimnis
gelüftet, aber gute Gründe, es vorerst für sich zu
behalten.»
«Warum sollte er
das tun?»
«Ich weiß
es nicht», sagte die Principessa. «Du bist schließlich
der Detektiv. Ist der Umschlag dick?»
Es dauerte einen
Moment, bis Tron begriff, dass die Principessa das Tagebuch meinte.
Flyte hatte die neuen Blätter wieder in einem Umschlag aus
braunem Papier verstaut. Als Tron sie herauszog, sah er, dass es
sich um drei engbeschriebene Bögen handelte.
«Die Fortsetzung
ist ungefähr genauso lang wie der letzte Teil», sagte
er.
«Wo sind wir
stehengeblieben?»
Tron warf einen Blick
auf den Anfang des Textes. Auf dem ersten Blatt stand das Datum,
der 3. November 1202. Unklar blieb, ob Flyte das Datum
übernommen oder zur besseren Orientierung seiner Leser
hinzugefügt hatte. Tron nahm sich vor, Flyte nächste
Woche in der Marciana zu besuchen, um einen Blick auf das Original
zu werfen.
«Anfang November
1202», sagte er. Und da er die erste Zeile bereits
überflogen hatte, fügte er hinzu: «Zanetto Tron ist
noch an Bord der Galleante.»
«Dann
lies.»
17
3.11.
Kaum Wind, angenehm
für die Ruderer, denn so müssen sie nicht mit den
Segelschiffen mithalten. Lange auf der Poop gestanden und bei
sinkender Sonne die Flotte betrachtet. Unseren fünfzig
Galeeren folgen Hunderte von dickbäuchigen uscieri, riesige Lastsegler,
die Proviant und Kriegsausrüstung an Bord haben,
Steinschleudermaschinen, Speerkatapulte. Dahinter, über den
ganzen Horizont verstreut, die Segel von Abenteurern, die sich der
Flotte angeschlossen haben, italienische und jüdische
Kaufleute, Piraten von den Inseln der Ägäis. Dandolo mag
sie nicht, er befürchtet, dass Spione unter ihnen sein
könnten. Die Mannschaften lieben die Händler, weil sie
alles das anbieten, was es an Bord nicht gibt. Auch Frauen,
Afrikanerinnen, höllisch teuer. Das weiß ich von Pietro
Cavalli, der sich mit Abscheu darüber geäußert
hat.
Heute kurzer
Kontakt mit Lucia während der Morgenandacht. Kreuzen der
Blicke, dabei ein Lächeln. Die Tante ist ein wahrer Drachen.
Muss endlich etwas unternehmen. Vielleicht durch ihre Zofe ein
Billett zustellen lassen - eine ansprechende Person, höchstens
vierzehn.
Noch vier Tage bis
Zara. Wachsende Nervosität an Bord, man befürchtet
Ärger. Die Herrschaft über die dalmatinische Küste
ist uns im letzten Jahr entglitten, als sich die Stadt Zara unter
den Schutz des Königs von Ungarn begeben hat. Da muss Dandolo
etwas unternehmen. Früh in die Hängematte, da
Magenverstimmung durch verdorbenen Fisch.
5.11.
Noch völlig
schockiert. Fühle mich hintergangen, wie immer, wenn Leute
nicht mit offenen Karten spielen. Gestern bei Dandolo zum Diktat
gewesen. Zwei Schreiben aufgenommen und anschließend
Reinschriften ausgefertigt. Musste zuvor auf die Bibel
schwören, dass ich Schweigen bewahren werde. Was
anschließend kam, war so zynisch, dass ich es kaum fassen
konnte. Ägypten als Ziel dieses Kreuzzuges stand nie auf dem
Plan. Der Papst will die Spaltung der Kirche beenden, Dandolo den
wichtigsten venezianischen Handelskonkurrenten ausschalten. Der
Kampf gegen die Ungläubigen war nur ein Vorwand. In Wahrheit
geht es gegen Byzanz.
Jetzt weiß
ich
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