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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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brauchte unter
normalen Bedingungen höchstens zwanzig Minuten für die
Fahrt über die Lagune. Tron zwang sich, einen Fuß vor
den anderen zu setzen und ohne nachzudenken in das dunstige Nichts
vor seinen Augen zu laufen - zu stolpern, denn er stellte
entsetzt fest, dass seine Kräfte bereits nachließen. Und
dann stellte er fest, dass er der Markierung nicht traute. Waren
sie womöglich nicht auf dem Weg nach San Lazzaro, sondern auf
dem Weg in die offene Lagune? In ein Labyrinth aus Schnee und Eis,
in dem sie der Tod erwartete, nachdem sie tagelang im Kreis
gewandert waren? Und wie lange würde es dauern, bis man ihre
Leichen fand? Falls überhaupt - denn wenn das Tauwetter
einsetzte und die Ebbe ihre Körper aus der Lagune ins Meer
schwemmte, würde man ihre sterblichen Überreste
womöglich nie entdecken. Commissario Tron und Ispettore Bossi
würden als Fischfutter enden. Die Principessa fiel ihm ein,
ihre grünen Augen und die paradiesische Wärme, die in
ihrem Salon herrschte. Würde er sie jemals Wiedersehen?
Würde er ...
    « Commissario ?
»
    Bossis Stimme riss
Tron in die Gegenwart zurück. Er hob den Kopf und sah zu
seinem Erstaunen, dass das Schneetreiben aufgehört hatte. Sie
standen vor einem Landungssteg, der bräunlich aus dem Eis
emporragte. Links und rechts davon war die Mauer zu erkennen, die
die Klosterinsel von allen Seiten umgab. Dahinter erhoben sich in
einiger Entfernung Gebäude, auch der Campanile von San Lazzaro
war jetzt, wenn auch undeutlich, zu sehen.
    Bossi zog seine
Taschenuhr hervor. «Ich hatte recht, Commissario. Das waren
genau dreißig Minuten.»
    Was nur bedeuten
konnte, dachte Tron, dass ihm sein Zeitgefühl im
Schneegestöber abhandengekommen war. Ob der Ispettore seinen
panischen Anfall bemerkt hatte? Nein, das war unwahrscheinlich.
«Ich hatte nie behauptet», sagte er gelassen,
«dass es länger dauern würde,
Bossi.»    
    Auf den ersten Blick
schien die Klosterinsel unbewohnt zu sein. Der Weg, der vom
Landungssteg zum Kloster führte, war nicht gefegt und voller
kniehoher
Schneeverwehungen.      
    Lediglich zwei
rauchende Schornsteine verrieten, dass es in den Mauern
menschliches Leben gab.
    Als sie sich dem
Gebäudekomplex aus roten Backsteinen näherten, sahen sie,
dass man sie bereits entdeckt hatte. Es waren zwei jungen
Mönche in groben braunen Umhängen, die auf einem
Gerüst vor dem Hauptgebäude standen und neugierig auf die
Besucher herabblickten. Einer von ihnen hatte einen Meißel
und einen großen, hölzernen Schlegel in der Hand, wie
Steinmetze sie benutzen. Der andere hantierte mit einem
Steinbohrer. Offenbar waren sie damit beschäftigt, eine
marmorne Schutzmantelmadonna zu bearbeiten, deren Relief an der
Backsteinwand des Gebäudes befestigt war. Einer der
Mönche war groß und kräftig, der andere eher klein
und schmal. Der Kleine hatte ein weiches, kindliches Gesicht mit
schwarzen, großen Augen. Die Kälte schien beiden nichts
auszumachen, denn sie trugen noch nicht einmal eine
Kopfbedeckung.
    «Sind Sie von
der Polizei?», fragte der Große, der Bossis
Polizeimantel bemerkt hatte.
    Tron nickte.
«Vom Sestiere San Marco.»
    «Kommen Sie
wegen Signor Petrelli oder wegen des Einbruchs,
Commissario?», fragte er weiter. «Signorina
Lupi», fügte er hinzu, «hat gesagt, dass sich die
Polizei melden würde.»
    «Welcher
Einbruch?», erkundigte sich Bossi.
    «Vor vier Tagen
ist in die Sakristei eingebrochen worden», erklärte der
Kleine.
    «Und was wurde
gestohlen?»
    «Nur ein
Taufbecher.»
    «Alt und aus
Glas?»
    «Ich glaube,
ja», sagte der Kleine.
    «Und was hat das
mit Signorina Lupi zu tun?», erkundigte sich Tron.
    «Nichts»,
entgegnete der Große. «Wir waren in Venedig bei
Signorina Lupi, weil Signor Petrelli am Montag und am Dienstag
nicht erschienen ist. Aber in seiner Wohnung trafen wir nur auf die
Signorina. Und die hat uns gesagt, dass Signor Petrelli im
Ognissanti liegt.»
    «Er hatte einen
Unfall», sagte Tron knapp. Er erwartete die Frage, wie es
Petrelli gehe, aber die beiden Mönche machten nur erschrockene
Gesichter.
    Plötzlich war
Tron kalt. Der Wind, wieder mit kleinen Eiskristallen durchsetzt,
hatte sich gedreht und traf sie jetzt von der Seite. Er wandte sich
an den Kleinen. «Können wir uns irgendwo drinnen
unterhalten?»
    Die beiden Mönche
steckten die Köpfe zusammen und tuschelten kurz. Dann stiegen
sie vom Gerüst herab, wobei der Große dem Kleinen galant
behilflich war.
    «Wir können
in die Werkstatt gehen»,

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