Die letzte Lagune
geben.» Lodron dachte kurz nach.
«Dass Sie früher oder später im Hauptarchiv
erscheinen würden, war zu erwarten. Sie würden also auf
die Akte stoßen und Ihre Schlüsse ziehen. Denn Petrelli
war der Mann, den sie losschicken, wenn sie ein Problem lösen
müssen.»
«In der Akte
sind Einsätze hinter den feindlichen Linien erwähnt
worden», sagte Tron.
Lodron nickte.
«Genau das meine ich.»
Tron lächelte.
«Sie geben also zu, dass Ihre Verbindung mit Petrelli uns
misstrauisch machen könnte?»
«Ja,
sicher», entgegnete Lodron. «Aber ich hatte einfach
keine Lust, Sie hier im Nacken zu haben. Theoretisch könnte
ich Petrelli zu einem Sondereinsatz reaktiviert haben. Operation
Tagebuch.» Der Hofrat lachte. «Wobei
ich nicht abstreite, dass ich stark an diesen Tagebüchern
interessiert bin. Aber das wissen Sie ja.»
«Warum sind alle
so wild auf diese Tagebücher?»
«Ich kann Ihnen
nur verraten, warum man sich in Wien für diese Notizen
interessiert», sagte Lodron. «Es geht hier um
Tagebücher, die zu Beginn des 13. Jahrhunderts verfasst worden
sind. Kein Mensch schrieb damals Tagebuch. Das allein macht aus
diesem Fund eine Sensation. Hinzu kommt, dass Zanetto Tron
Augenzeuge eines Feldzuges war, über den sich die Gelehrten
bis auf den heutigen Tag streiten. Jede Bibliothek der Welt
würde alles tun, um in den Besitz dieses Manuskripts zu
gelangen. Der Kaiser hat höchstpersönlich sein Interesse
an den Tagebüchern geäußert. Die Geschichte ist
insofern misslich, als es diese Vereinbarung zwischen dem
Ballhausplatz und dem Foreign Office gibt. Aber Franz Joseph
möchte keinen Arger mit England. Ich muss also versuchen, mit
Dr. Flyte zu verhandeln.»
«Und Sie meinen,
das würde einfacher, wenn Dr. Flyte unter Mordverdacht
stünde?»
Zu Trons
Überraschung nickte Lodron. «Auf diese Weise
könnten wir Druck auf Flyte ausüben.»
«Die
Vorstellung, dass Flyte jemanden beauftragt haben könnte, in
den Palazzo Tron einzubrechen, um ihn anschließend
umzubringen, ist grotesk.»
Lodron hob
beschwichtigend die Hände. «Es geht nicht darum, Dr.
Flyte einen Mord zu unterstellen. Es geht nur darum, ihn
gesprächsbereit zu machen.»
«Vielleicht ist
Dr. Flyte deshalb so störrisch, weil er sich von Ihnen
bedrängt fühlt», sagte Tron. «Er meinte, Sie
würden es begrüßen, wenn er die Stadt so schnell
wie möglich verließe.»
Lodron nickte.
«Das würde ich auch. Und zwar lieber heute als morgen.
Ich will Ihnen auch eine Erklärung für die Dringlichkeit
der Angelegenheit geben.» Lodron zupfte an den Revers seines
Gehrocks. «Ist Ihnen aufgefallen, dass immer mehr Venezianer
die Trikolore am Revers tragen?»
«Der Baron
findet, dass zwischen der Treue zum Hause Habsburg und einem
gesunden Lokalstolz kein Widerspruch besteht.»
Darüber musste
Lodron lachen. «Aber wir sind uns darüber einig, dass
solche Bekundungen des venezianischen Lokalstolzes vor einigen
Jahren nicht geduldet worden wären.»
«Vermutlich
hätten wir schärfer reagiert», musste Tron zugeben.
«Die Zeiten haben sich geändert.»
«Und sie werden
sich weiter ändern.» Der Hofrat dämpfte seine
Stimme. «Wie lange, denken Sie denn, wird das hier alles noch
dauern?»
«Bitte?»
«Die Okkupation
des Veneto durch Österreich», sagte Lodron. «Ich
will ganz offen sein», fuhr er fort, ohne auf Trons Antwort
zu warten. «Das hier ist ein unnatürlicher Zustand, der
von Tag zu Tag unhaltbarer wird.»
«Was hat das mit
Zanetto Trons Tagebüchern zu tun?»
«Wenn Turin das
Veneto übernimmt», sagte Lodron, «ist die
Hofbibliothek aus dem Rennen. Uns läuft die Zeit davon. Und
Dr. Flyte ist einfach zu langsam. Ich will nur, dass er mit uns
kooperiert.»
«Dr. Flyte
möchte den wissenschaftlichen Lorbeer nicht mit anderen
teilen.»
«Das soll er gar
nicht», sagte Lodron. «Er würde das Projekt leiten
und als Herausgeber der Tagebücher fungieren. Wie geht es ihm
übrigens?»
«Den
Umständen entsprechend», sagte Tron. Interessant, dachte
er. Offenbar war Lodron bereits auf dem Laufenden.
«Ich hoffe, er
hat es einigermaßen bequem», äußerte
Lodron.
Tron nickte. «Er
ist auf dem Weg der Besserung. Die Verletzung war harmlos. Er hat
großes Glück gehabt.»
Lodron runzelte die
Stirn. «Welche Verletzung? Hat er Widerstand geleistet, als
Sie ihn verhaftet haben?»
«Verhaftet? Wir
haben Dr. Flye nicht verhaftet.»
«Aber der Baron
hat mir gestern ausdrücklich versichert, dass Sie Dr. Flyte in
Haft nehmen
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