Inspektor Jury steht im Regen
1
Februar
D IE S CHEINWERFER DES W AGENS drangen durch Regen und Nebel und erfaßten sie; sie stand etwa hundert Meter vom Café entfernt am Straßenrand. Der Rucksack lag neben ihr auf dem Boden.
Einmal, als der Lastwagen, in den sie zuletzt eingestiegen war, die A30 verließ, fürchtete er schon, er habe sie verloren. Ein anderer Lkw war auf den Kreisverkehr gerattert und hatte ihm die Sicht versperrt. Doch er war sich ziemlich sicher, daß der Sainsbury-Transporter auf die Autobahn Richtung Bristol oder Birmingham wollte. Also hatte er die Ausfahrt zur A303 genommen und sie wieder eingeholt.
Als der Fahrer auf den Parkplatz des Little Chef einbog, glaubte er, seine Chance sei gekommen. Aber sie gingen beide hinein, so daß er seinen blauen Ford in die kurze im Nebel verschwimmende Autoreihe zwängte und das Café betrat. Während er im rückwärtigen Teil des Raums in eine Nische glitt, konnte er sie beobachten. Sie und der Fahrer wechselten ein paar Worte miteinander und dann noch ein paar mit der Kellnerin, und danach brach die Unterhaltung ab. Sie hatten sich also während der vielen Meilen, die er ihnen gefolgt war, nicht miteinander angefreundet.
Sie war jung, fünf- oder sechsundzwanzig, doch ihr Gesicht war hart und wirkte im kalten Licht des Cafés, einem künstlichen Licht, das die roten Tischplatten und weißen Papierservietten und die gestärkten Blusen der Kellnerinnen aufleuchten ließ, noch härter. Die junge Frau sah ihren Begleiter nicht an. Sie stützte das Kinn auf die Faust, und die andere Hand spielte abwesend mit einer langen blonden Haarsträhne. Die Kellnerin stellte die Teller mit Bohnen, Eiern und Pommes frites vor sie hin und kam dann zu ihm nach hinten. Er bestellte Tee.
Während des ganzen Essens sprachen sie nicht miteinander, und zuletzt nahm jeder seine jeweilige Rechnung und zahlte bei der ausdruckslosen Kassiererin.
Da sie das Café aber gemeinsam verließen, wußte er, daß der Fahrer sie weiter mitnehmen würde. Deshalb zahlte er ebenfalls, ging hinaus zu seinem Wagen und startete, als der Lkw anfuhr.
Als er sie nicht weit vom Café im Nebel stehen sah, vermutete er, sie habe es sich mit dem Fahrer oder dem Reiseziel oder mit beidem anders überlegt. Er beugte sich über den Beifahrersitz, um ihr die Tür zu öffnen, und fragte, ob er sie irgendwohin mitnehmen könne. Der Ford stand mit laufendem Motor am Straßenrand, während sie hineinglitt, ihren Rucksack auf den Rücksitz schmiß und sein Angebot mit einem Stöhnen und Nicken quittierte.
Sie wolle nach Bristol, sagte sie, während sie in ihrer Schultertasche wühlte und Zigarettenpapier und einen kleinen zusammengefalteten Zettel hervorkramte, nein, keinen Zettel – Marihuana. Der eklig-süße Geruch erfüllte allmählich den Wagen. Er kurbelte das Fenster herunter.
Sie fragte, ob es ihn störe, machte jedoch keine Anstalten, sich zu entschuldigen oder die Zigarette auszudrücken. Ihr schien bereits die Frage zu genügen. Als er meinte, er sei an den Geruch nicht gewöhnt, zuckte sie lediglich die Achseln und starrte, die in einer kleinen Spitze steckende Zigarette umklammernd, erneut auf die Windschutzscheibe. Dann schaltete sie, wieder ohne zu fragen, das Autoradio an. Stimmen, Musikfetzen schwollen an und ab, während sie den Zeiger über die Leuchtanzeige hin- und herjagte und sich schließlich für einen Sender entschied, in dem die volltönende Stimme eines Discjockeys eine alte Glenn Miller-Aufnahme ankündigte. Das überraschte ihn. Bei ihr hätte er eigentlich Rockmusik erwartet.
Drei Tage lang war er in Exeter gewesen, hatte sie beobachtet und beschattet. Er hatte das Haus von mehreren Stellen der anderen Straßenseite aus observiert: dem Zeitungsgeschäft, dem Waschsalon und einem winzigen Restaurant namens Mr. Wong and Son. Den blauen Ford hatte er vorsichtshalber auf einem öffentlichen Parkplatz stehenlassen. Was ihn selber betraf, war er weniger vorsichtig. Einmal hatte er das Restaurant betreten, einen dunklen, schachtelartigen Raum mit Tischdecken, auf denen die Sojasaucenflaschen Flecken hinterlassen hatten, und sich etwas zu essen bestellt. Es gab nicht einen einzigen Grund, ihn mit ihr in Verbindung zu bringen. Und der Kellner – vielleicht Mr. Wongs Sohn – hatte die ganze Zeit aus dem Fenster gestarrt, aus der Blässe der untapezierten Wände auf die Blässe des Pflasters gesehen. Sein Gesicht war eine Maske der Gleichgültigkeit. Er würde sich wohl kaum an ihn erinnern.
Es war auch
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