Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Nacht

Die letzte Nacht

Titel: Die letzte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
Vom Netzwerk:
Pin d’Alep, allerdings macht das für sie, glaub ich, keinen Unterschied. Ich habe jedenfalls ein Insektenmittel genommen.«
    »Schon interessant diese Sache, dass sie nachts zum Fressen rauskommen«, bemerkte Filippo. »Wie die Raubtiere.«
    »Oder wie die Diebe«, sagte Anna lachend.
    Salviati blieb ungerührt. Er verspürte nicht einmal mehr Anspannung. Früher hätten diese Worte ihn innerlich in Alarmbereitschaft versetzt. Aber jetzt lebte er ein anderes Leben. Er nahm die Pfeife aus dem Mund und sagte:
    »Ja, stimmt … wie die Diebe … tagsüber schlafen sie, und nachts schlagen sie zu.«
    Die Cortis kamen aus dem Tessin. Er war Lehrer für Naturwissenschaften, sie arbeitete halbtags in einer Bibliothek. Seit Jahren verbrachten sie ihren Urlaub in der Provence. Sie mieteten immer dasselbe Haus, das unweit des Dorfes, aber bereits in den Bergen lag. Salviati kam nicht zuletzt deshalb so gern zum Essen bei ihnen vorbei, weil man das Gefühl hatte, fernab von der Welt zu sein.
    »Wenn ich’s mir recht überlege«, begann Filippo erneut, wobei er sein Weinglas zwischen den Händen schwenkte, »wäre ein Leben als Juwelendieb gar nicht so schlecht. Wie Cary Grant in Über den Dächern von Nizza . Eine hübsche Villa an der Côte d’Azur, schöne Frauen, Sportwagen …«
    »Das Haus in der Provence haben wir schon«, bemerkte seine Frau. »Sag bloß, dir fehlen schöne Frauen!«
    Filippo lächelte. Er war mager, um die vierzig mit dichtem, gelocktem Haar und Bart.
    »Vielleicht fehlt mir ein Überfall. Es muss Spaß machen, einen Coup zu organisieren, die Zeiten zu studieren, die Flucht zu planen …«
    Salviati kannte dieses Gedankenspiel recht gut. Hin und wieder kam es dazu: ein Sommerabend, ein wenig Zeitvertreib, ein Ausflug der Fantasie. Stell dir vor, du würdest eine Bank ausrauben! Und ohne zu viele oder allzu wenige Worte ging er auf das Spiel ein.
    »Warum nicht?« Er deutete ein Lächeln an. »Wenn ihr wollt, können wir’s probieren.«
    »Ich bin dabei!«, rief Filippo.
    »Wir landen einen echten Coup, und dann könnt ihr das ganze Jahr über hierbleiben …«
    »Aber heutzutage schafft das keiner mehr«, widersprach Anna. »Am Ende werden alle geschnappt, selbst die, denen es gelingt, mit dem Geld zu entkommen.«
    »Ach was, nicht alle«, sagte Filippo. »Ich hab neulich in der Zeitung die Geschichte von diesem Ronnie Biggs gelesen, der in den Sechzigerjahren einen Postzug überfallen hat und … ich glaube, mit beinahe vier Millionen Pfund Sterling abgehauen ist! Das war damals übrigens eine unglaubliche Summe.«
    »Und haben sie ihn nie gefasst?«, fragte Anna.
    »Nicht so richtig.«
    Filippo liebte es, Geschichten zu erzählen, die er in der Zeitung gelesen hatte. Er streckte sich auf seinem Stuhl aus und wartete auf die Frage. Salviati reagierte prompt:
    »Nicht so richtig?«, fragte er. »Wie meinst du das?«
    »Es waren sechzehn Mann«, erklärte Filippo, »und die Vorbereitungen haben über ein Jahr gedauert. Der Anführer war Reynolds. Er und Biggs hatten sich im Gefängnis kennengelernt und dabei eine Menge Gemeinsamkeiten entdeckt: ihre Leidenschaft für Jazz, für Hemingway und für Steinbeck.«
    Salviati lächelte in die Dunkelheit. Wie oft hatte er schon die Geschichte vom Großen Postraub gehört.
    »… und indem sie das Signal manipulierten, gelang es ihnen, den Zug zu stoppen«, erzählte Filippo. »Eine Gruppe hielt den Lokführer und den Heizer in Schach, eine zweite koppelte die hinteren Wagen ab. Die Lok setzte ihren Weg mit dem Geldwaggon fort. Rund einen Kilometer weiter wartete eine dritte Gruppe auf das Zugstück. Das Spiel war bereits gelaufen: Sie haben das Geld genommen und sind geflohen.«
    »Wohin?«, fragte Salviati.
    »Sie haben sich in einem Gehöft versteckt, das sie vor dem Coup gekauft hatten. Nachdem die Beute aufgeteilt war, rund zweihunderttausend Pfund Sterling pro Kopf, sind alle abgehauen und in London untergetaucht.«
    Filippo schwieg, alle schwiegen. Zufrieden atmeten sie die laue provenzalische Nachtluft ein und gaben sich dem Traum eines Millionenraubs hin. Aber Salviati beschloss, den Zauber zu durchbrechen.
    »Und weiter?«, fragte er.
    »Sie haben einen Fehler begangen.« Filippo seufzte. »Das Bandenmitglied, das den Hof in Brand stecken sollte, hat seinen Teil eingesackt, sich aus dem Staub gemacht und alles so hinterlassen wie es war, inklusive Fingerabdrücken. Die von Biggs haben sie auf einem Monopoly-Spiel gefunden.«
    »Also werden am Ende

Weitere Kostenlose Bücher