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Die letzte Praline

Die letzte Praline

Titel: Die letzte Praline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Ohne elektrischen Strom war die Illusion perfekt: Er befand sich im Mittelalter. Im wortwörtlich dunklen Mittelalter, in dem das Funkeln der Sterne und das Leuchten des Mondes um so vieles heller erschienen. Schon nach kurzer Zeit flackerte Kerzenlicht in einigen Häusern auf. Hier war man anscheinend gut vorbereitet.
    Der salzige Geruch der Nordsee war innerhalb der alten Befestigungsanlagen kaum mehr wahrzunehmen, stattdessen schien es, als habe sich der Duft von Schokolade tief in das Mauerwerk geprägt, welches nun eine süßliche Note verströmte.
    Adalbert war nicht überrascht, als plötzlich ein Nachtwächter mit weitem Umhang, Schlapphut, Signalhorn, Hellebarde und Laterne um die Ecke bog. Viel mehr verwunderte ihn die neumodisch gekleidete Gruppe hinter diesem.
    »Guten Abend, Herr Professor.« Der Nachtwächter zog den Hut und verbeugte sich tief.
    Verdutzt nickte Adalbert. Kannte er den Mann? Nun ja, dieser kannte zumindest ihn. Merkwürdig.
    Bietigheim ging weiter, seine Schritte hallten durch die menschenleeren Gassen, bis endlich der Grote Markt mit dem stolzen Belfried an der Südseite vor ihm auftauchte. Es war zweifellos einer der schönsten Plätze Europas, 110   Meter lang und 68   Meter breit, neun Straßen trafen auf ihn, wie Adern in ein pumpendes Herz. Auf der Westseite stand das Haus Craenenburg mit dem gleichnamigen Café, die Ostseite des Marktes prägte das neogotische Provinzialratsgebäude mit der Wohnung des Gouverneurs von Westflandern, und die Nordseite schließlich bot wundervoll farbige, alte Zunfthäuser – und fast in jedem ein Restaurant.
    Plötzlich war der Spuk vorbei, und mit einem Schlag gingen die Lichter wieder an. Adalbert schirmte seine Augen gegen den Schein der Straßenlaterne über ihm ab. Ein junges Pärchen schlenderte auf den Professor zu, er hatte seinen Arm um sie gelegt, das leichte Torkeln deutete auf übermäßigen Alkoholkonsum hin, vermutlich belgisches Bier. Der junge Mann hatte einen Glatzkopf und trug trotz der Kühle der Nacht nur ein Harley-Davidson-T-Shirt, sie ein Pailettenkleid – und sie sang. Adalbert konnte sich verhört haben, aber es klang wie »smakelijk chocolade, verleidelijk chocolade« 3 leckere Schokolade, verführerische Schokolade. Und obwohl ihre Stimme auch ganz leicht torkelte, klang sie wunderschön und ließ das düstere Brügge sogleich viel heimeliger erscheinen.
    »Guten Abend, Professor Bietigheim. Schön, dass Sie da sind!«, sagte der Mann.
    »Und das ist der kleine Benno von Saber«, ergänzte die junge Frau, bevor sie sich hinkniete und den Foxterrier am Köpfchen kraulte. »Du bist ja so ein süßer kleiner Teufel.«
    Sie hatte lange braune Haare und ein sehr hübsches, ein wenig puppenhaftes Gesicht mit ausdrucksstarken Augen. Ihre Haut war leicht gebräunt – fast wie Vollmilchschokolade.
    Ihr Begleiter rief plötzlich in Richtung des Platzes: »Er ist hier! Der Professor ist hier!«
    Aus den dunklen Ecken lösten sich Gestalten, und plötzlich war Adalbert Bietigheim von gut zwanzig Menschen umringt, die ihn willkommen hießen.
    »Wir freuen uns so, Sie zu sehen!«, sagte eine ältere Frau, die ihrer gemütlichen Körperfülle zufolge jeden Tag einen Klotz Butter, dick mit Margarine bestrichen und Sahne besprüht, aß, umarmte Adalbert und drückte ihm einen feuchten Kuss auf die Wange. Ja, gab es denn so was!? Was sollte dieser Rummel? Hatte sich etwa seine Aufklärung der Teemordserie bis nach Brügge herumgesprochen oder dass er es war, der das Rätsel um den Käsemörder im Burgund gelöst hatte? Oder hatten sie alle seine bahnbrechende Abhandlung über »Belgisches Bier – Vom Brauen als Kunst und Resteverwertung von Obst« gelesen? Wie auch immer, verdient hatte er diese Bewunderung mit Sicherheit. Und mehr als das! Aber diese Knutscherei musste trotzdem nicht sein.
    Bietigheim löste sich aus der Umarmung, zog den ebenfalls heftig beschmusten Benno zu sich und ging über den beeindruckenden Marktplatz Brügges in Richtung Belfried.
    Dann sah er es.
    Vor dem Rathaus hing ein riesiges Banner zur »Weltmeisterschaft der Chocolatiers« mit dem Konterfei des Vorsitzenden der internationalen Jury: ihm selbst. Gezeichnet als Comicfigur, die gütig lächelnd in eine Tafel Schokolade biss. Wie ein netter Onkel, der den Kinderchen Süßes schenkt. Daneben Benno von Saber mit Kochmütze mit Kochlöffel in der Pfote. Solch eine Verdrehung der Tatsachen! Schokolade war doch nicht zum Vergnügen da! Und dies war immerhin

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