Die letzte Praline
schokoladenbraunes Etuikleid, schokoladenbraune Ballerinas, ihre Haare waren dunkel wie hundertprozentige Schokolade, und ihre Zähne waren … blendend weiß. Ihr Namensschild wies sie als Mareijke Dovendaan aus.
»Madame Baels! Unsere Chocofee ist nirgends zu finden. Dabei sollte Bea schon seit einer Stunde hier sein. Und sonst ist sie immer pünktlich. Wir müssen ihr doch noch das Kostüm anziehen und sie schminken, das schaffen wir schon gar nicht mehr vor der Pressekonferenz!«
»Haben Sie versucht, Bea auf dem Telefon zu erreichen?«
»Natürlich, Madame Baels. Seit einer Stunde, Festnetz und Handy. Habe auch bei ihren Eltern angerufen und in dem Studio, wo sie ihr Album aufnimmt. Sie ist nirgendwo. Und keiner weiß was.«
Madame Baels tststste. Und wie sie das machte. Laut und vorwurfsvoll, wie es nur die Besten hinbekamen. Dann musterte sie ihre Mitarbeiterin. »In diesem Fall ziehen Sie halt das Kostüm an. Hopphopp!«
»Aber wir haben Bea angekündigt! Und sie sollte doch das Lied zur Weltmeisterschaft singen.«
»Playback!«
Professor Adalbert Bietigheim tippte Madame Baels sachte auf die Schulter, doch diese reagierte nicht.
»Aber es gibt doch auch ein Fotoshooting neben ihrer Schokoladenskulptur. Da fällt auf, dass ich nicht sie bin.«
»Abgesagt!«
Bietigheim versuchte es abermals, diesmal fester, denn er hatte etwas entdeckt. Es war groß. Und ziegenkäseweiß.
»Und sie sollte sich ins Goldene Buch der Stadt eintragen!«
»Meinetwegen fälschen Sie die Unterschrift, merkt sowieso kein Mensch.«
Bietigheim griff nun zu drastischeren Maßnahmen. Er schüttelte Madame Baels an der Schulter.
Endlich drehte sie sich um. Ihr Blick herrisch, wie der einer nordischen Göttin.
Bietigheim schmolz dahin wie Schokolade im Hochsommer.
»Ich bin mir ja nicht sicher«, begann er, »also nicht völlig. Aber ich glaube, dass dieser Mann hier, nun ja, dass er, wie soll ich es sagen, normalerweise anders aussieht. Gesünder.«
Im Raum war ein Mann aufgetaucht. Eine Bergkette von einem Mann. Mindestens Alpen, vielleicht sogar Himalaja. Beim heiteren Beruferaten hätte bei ihm niemand auf Chocolatier getippt, eher auf Mammutmetzger. Doch es war, wie Bietigheim wusste, Franky van der Elst, der belgische Kandidat. Seine blasse Haut war stets gerötet, seine Schweinsäuglein leicht glasig. Er hatte ungefähr die Ausmaße von Bietigheims altem Freund, dem Rocker Pit Kossitzke, doch bei diesem lagen mächtige Muskeln unter dem Speckmantel, wogegen bei van der Elst vor allem eines unter dem Speck lag: noch mehr Speck.
Van der Elst war blass. Wo auch immer sein Blut steckte, es war nicht zu sehen. Er zeigte in Richtung der Demonstrationschocolaterie, in welcher vor den Augen der Besucher und geschützt durch eine deckenhohe Plexiglasscheibe Pralinen und Schokoladen erzeugt werden konnten.
»Die Skulptur«, stotterte er. »Die gehört da nicht hin.«
»Mein lieber van der Elst«, erwiderte Madame Baels genervt. »Skulptur hin oder her, wir haben gerade ganz andere Sorgen.«
Bietigheim blickte um die Ecke in die Chocolaterie und ging ein paar Schritte näher. Er schreckte zurück. Dann machte er eiligst kehrt und ergriff Madame Baels’ Hand. Sie war groß, fleischig und mit festem Griff. Atemberaubend, diese Frau! Nur widerwillig ließ sie sich mitziehen.
»Diese Skulptur, von der Mijnheer van der Elst spricht … also, sie ist wohl gar keine. Nicht im eigentlichen Sinne.«
Er zog Madame Baels vor die Plexiglasfront.
»Was reden Sie denn da, Herr Professor? Fangen Sie nicht auch noch …«
Doch weiter kam sie nicht, denn ein Schrei aus der Kehle Mareijke Dovendaans zerriss die Luft. Und sie hörte erst auf zu schreien, als Madame Baels ihr eine scheuerte.
Erst danach erblickte die Museumsleiterin den Grund des Schreckens und verhinderte nur durch beherztes Pressen der Hand auf ihren Mund eine ähnlich lautstarke Gefühlsäußerung.
Auf der riesigen Marmorplatte der Chocolaterie, auf welcher sonst die Schokoladenmasse bewegt wurde, um sie kontrolliert und gleichmäßig abzukühlen, lag etwas definitiv Abgekühltes. Eine tote Frau. Sie war nackt, soweit man dies sagen konnte, da ihr ganzer Körper, auch ihr Gesicht und ihre Haare, von Schokolade überzogen waren. Ihr Mund stand offen und war bis zu den Lippen mit Kuvertüre gefüllt worden.
»Sechzigprozentige Madagaskar-Kuvertüre von Walrhano , würde ich meinen«, sagte Bietigheim, der den besonderen Farbton sofort wiedererkannt hatte. »Gehe ich
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