Die letzte Praline
kein …«
»Weg von meiner Leiche, die Spurensicherung trifft jeden Augenblick ein, wahrscheinlich haben Sie schon etliche Spuren verwischt und vernichtet. – Holt mir den Kerl da raus, dann großräumig absperren, ich will hier keinen mehr sehen, der keine Hundemarke trägt. Snel!«, wandte er sich lautstark an zwei Lakaien, die hinter ihm standen. Unsanft beförderten sie Bietigheim hinaus, und kaum dass er sich’s versah, bugsierte ihn Mareijke Dovendaan in den großen Saal des Museums, welcher bis auf den letzten Platz von Journalisten, Fotografen und Kamerateams besetzt war.
Bietigheim drehte sich zu der jungen Frau um, die ihn unaufhaltsam in Richtung Bühne schob. »Ist Madame Baels in der Lage, die Weltmeisterschaft abzusagen, oder soll ich diese schmerzhafte Aufgabe übernehmen?«
»Sie wird die richtigen Worte finden.«
Hinter der Bühne hing ein weiteres schreckliches Weltmeisterschaftsplakat, das Adalbert auf einem Schokoladenschwan reitend zeigte, einem Brugsche Swaentje, der hiesigen Pralinenspezialität. Benno hatte es sogar noch schlimmer erwischt, er flog auf dem Rücken eines Schokoladenschwans um den Brügger Belfried.
Wenn das seine Hamburger Kollegen sahen! Oder die göttliche Hildegard zu Trömmsen, Hohepriesterin der feinen Hamburger Gesellschaft.
Er würde auf Jahre hinaus mit Brugsche Swaentje verspottet werden. Gott sei Dank hatte der Spuk bald ein Ende!
Neben dem Rednerpult stand eine Schokoladenskulptur der toten Beatrice Reekmans in ihrem Kostüm als Chocofee. Die Ähnlichkeit war beängstigend, und Adalbert wurde das Gefühl nicht los, im Inneren stecke eine weitere Leiche. Benno beschnupperte die Skulptur aufgeregt. Hoffentlich hob er nicht das Beinchen.
Madame Baels Turbosanierung war erfolgreich, sie sah wieder aus, als zöge sie gleich in Walhalla ein – allerdings mit etwas zu viel Rouge auf den Wangen. Sie trat ans Mikrofon und räusperte sich, gleichermaßen damenhaft wie kraftvoll. Bärinnen räusperten sich bestimmt so.
»Herzlich willkommen in Brügge, das für eine Woche das Herz der Schokoladenwelt sein wird!«, setzte sie an. Es folgte die Erwähnung von allerlei Honoratioren und Sponsoren, auch Adalbert wurde ausgiebig gewürdigt und von Madame Baels als »Schokoladenpapst« tituliert. Eine gewagte Bezeichnung, wie Adalbert fand, aber inhaltlich nicht unverdient. Selbst Benno wurde erwähnt, als Hund mit der feinsten Trüffelnase – ein doppeldeutiger Witz –, gleichzeitig wurde er quasi zum Maskottchen der Weltmeisterschaft ausgerufen. Dann holte Madame Baels tief Luft, und ihr gewaltiger Brustkorb hob sich, als würden sich Berge aus dem Meer erheben. Jetzt war es also so weit.
»Leider kann unsere bezaubernde Chocofee Beatrice Reekmans heute nicht bei uns sein«, begann die Schirmherrin. »Aber sie hätte sicher gewollt, dass wir uns davon nicht abhalten lassen, die erstmals in Brügge stattfindende Weltmeisterschaft der Chocolatiers heute offiziell zu eröffnen. Und damit darf ich die Wettbewerber auf die Bühne bitten, die zehn besten Chocolatiers der Welt, welche sich in den kontinentalen Vorrunden gegen vielköpfige Konkurrenz durchgesetzt haben. Das Thema der Weltmeisterschaft lautet: Schokolade & Wein – Eine göttliche Verbindung, und sie ist hiermit eröffnet!«
Sie zog es wirklich durch, obwohl gerade erst eine junge Frau ermordet worden war, nur wenige Meter entfernt!
Das Licht wurde gedimmt, dann begann sich an der Decke eine Discokugel zu drehen, die Titelmelodie von »Rocky« dröhnte aus den Boxen, und Madame Baels klang plötzlich wie eine Rummelplatzansagerin.
»Und nun darf ich Ihnen die Wettbewerber vorstellen. Aus Schottland: Edward Macallan, der Jamie Oliver der Chocolatiers!«
Ein junger Mann mit wilder Lokenmähne sprang unter dem Applaus der anwesenden Medienmeute in Bermudashorts, Badelatschen und Surfer-T-Shirt auf die Bühne.
»Aus Österreich Leopold Ribisel, Chef-Patissier im Hotel Sacher, der Mozart unter den Chocolatiers.« Ein älterer Herr mit buschigen Augenbrauen und perfekt sitzendem Frack ging gesetzten Schrittes neben Macallan und streckte die Arme in Siegerpose empor.
Wer kam als Nächstes? Der Carl Lewis der Chocolatiers? Der Picasso? Oder das Krümelmonster unter den Chocolatiers?
»Aus der Schweiz Urs Egeli, der Denker, der Sokrates unter den Chocolatiers – und nicht zuletzt: der Titelverteidiger.«
Sokrates, na klar, der hatte noch gefehlt.
Ein asketischer Mann betrat die Bühne, die grau melierten
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