Die letzte Schöpfung
Kilometer. Und selbst wenn sie es schaffen – Mulligan will sie doch gar nicht haben!«
»So weit voraus denkt Danny nicht.«
»Dann such sie mal.« Sie kramte die Schlüssel aus ihrer Tasche und ging auf den Explorer zu. »Ich nehme den Wagen.«
»Nein!« Ethan fuhr blitzschnell herum, doch sie öffnete bereits die Fahrertür. »Sydney, bleib hier. Das ist sicherer. Ramirez…«
»Zum Teufel mit Ramirez!« Sie klemmte sich hinters Steuer. »Wir müssen die Kinder finden!«
»Verdammt!« Ethan rannte auf sie zu. »Sydney, warte!«
Zu spät.
Bevor er den Wagen erreichte, hatte sie bereits den Motor angelassen und den Gang eingelegt. »Such du im Wald!«, rief sie ihm aus dem Fenster zu. »Ich suche auf dem Highway.« Erde spritzte von den Hinterrädern auf, als sie in Richtung Straße davonschoss.
Ethan schaute ihr hilflos hinterher. Er musste erst die Kinder finden, dann würde er Sydney folgen und sie zur Vernunft bringen. Sie war viel zu eigensinnig; früher oder später würde sie dadurch in Schwierigkeiten geraten. Irgendwann würde Ramirez auftauchen, und dann brauchte sie mehr als Eigensinn, um zu überleben.
Die Stelle, wo Danny sich zwischen den Sträuchern durchgeschlagen hatte, war leicht zu finden. Er mochte zwar clever und tapfer sein, doch auf das Spurenverwischen verstand er sich nicht. Wahrscheinlich hatte er es auch gar nicht erst versucht. Der Junge war zornig und in großer Angst; er war nur ein Kind, das sich nach der Sicherheit eines angeblichen Vaters sehnte.
Der Ur-Instinkt: heimkehren. Das Vertraute, die Familie und die Freunde aufsuchen. Früher oder später machten selbst die Erfahrensten diesen Fehler. Auch Anna. Sie war in die Wüste gekommen, zu dem Treffpunkt, der nur bei höchster Gefahr aufgesucht werden sollte, weil sie wusste, dass sie nur dort einen Überlebenden des alten Teams finden konnte. Damit hatte sie Recht gehabt. Sie hatte Ethan gefunden – war aber auch Ramirez in die Hände gefallen.
Genauso würde Danny nach Mulligan suchen, doch den Ort, den der Junge für sein Heim hielt, gab es nicht. Das aber war nur das kleinere Problem. Mulligan würde bloß eine unliebsame Überraschung für Danny sein. Die größere Gefahr bestand darin, dass ihn in Champaign etwas anderes erwartete.
Ethan folgte Dannys Spur.
Abgeknickte und zertretene Zweige, kleine Fußabdrücke in der weichen Erde – so leicht zu lesen wie eine Straßenkarte. Sie bewegten sich schnell, rannten vermutlich, entfernten sich immer mehr vom Parkeingang, drangen tiefer in die Wälder ein. Aber Danny war klug und hatte vorher gründlich die Karte studiert. Deshalb wusste er, dass der Highway in einer großen Kurve um den Park herum führte, und wenn er lange genug in der richtigen Richtung ging, konnte er ihn gar nicht verfehlen.
Ethan fand keinen Fehler in der Grundüberlegung des Jungen. Wenn sie den Highway erreichten, würden sie von jemand mitgenommen werden. Was Danny dabei jedoch übersah, war der Beschützerinstinkt der meisten Erwachsenen: Wenn sie einem Kind, das viel zu jung war, um allein unterwegs zu sein, eine Mitfahrgelegenheit anboten, hatten sie meistens nichts Eiligeres zu tun, als das Kind auf der nächsten Polizeiwache abzuliefern. Damit würde Dannys Suche nach seinem Vater zu Ende sein. Die Behörden würden Danny und Callie unverzüglich zu der Insel zurückschicken, die Ethan immer zwielichtiger vorkam.
Und was geschehen würde, wenn sie an einen Fahrer gerieten, der nicht auf dem schnellsten Weg zur nächsten Polizeiwache fuhr – darüber wollte Ethan lieber nicht nachdenken. Die Welt war voll von Perversen, aber Danny war ein kluges Kerlchen, dem immer etwas einfiel. Er würde…
Ethan blieb jäh stehen.
Neben Dannys und Callies kleinen Fußabdrücken war eine dritte Spur.
***
Sydney raste den Weg entlang.
Das Auto holperte und schlingerte, geriet in jede Spurrille, jedes Schlagloch, sodass Sydney fast das Lenkrad aus der Hand gerissen wurde. Sie umklammerte es mit aller Kraft, während die Bäume vorüberjagten und niedrig hängende Zweige das Wagendach peitschten.
Sie konnte nicht glauben, dass sie so dumm gewesen war.
Sie hätte den Jungen niemals aus den Augen lassen sollen. In der kurzen Zeitspanne zwischen ihrem Bericht über Mulligan und Dannys Flucht hatte der Junge erneut bestätigt bekommen, dass alle Erwachsenen Lügner waren. Sie hätte mit ihm reden, ihn überzeugen müssen, dass sie die Wahrheit sagte und ihm und Callie helfen wollte. Stattdessen
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