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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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chinesischen Imbissen, chinesischen Computerläden, chinesischen Juwelieren und chinesischen Fußgängern wimmelte. Chan ließ sich von einer Woge in das Einkaufszentrum tragen, wo die kalte Luft der Klimaanlage den Regen und den Schweiß auf seinem Körper trocknete. An sich selbst und allen anderen, die ihm nahe kamen, roch er den modrigen Gestank tropischer, sich abkühlender Feuchtigkeit.
    In ihrer Eile, der Nässe zu entgehen und nach Hause zu kommen, drückten sich die Menschen gegen ihn und machten es ihm unmöglich, sich nach links oder rechts zu bewegen. Wenn er in einen der Läden gewollt hätte, wären starke Willenskraft und eine Auflehnung gegen die Masse nötig gewesen. Vor Wong’s Watches, einem Uhrenladen, stauten sich die Leute. Chan ließ sich an den äußeren Rand der Menge spülen, wo er einen Augenblick stehenblieb. Countdowns waren vor ein paar Jahren in Peking modern geworden; mittlerweile gab es in fast jeder Straße Hongkongs mindestens eine große Digitaluhr, auf der man ablesen konnte, wie viele Tage, Stunden, Sekunden es noch bis zum 30. Juni 1997, Mitternacht, waren. Der Zeitmesser von Wong’s war besonders groß und nahm die Hälfte seines Schaufensters ein. Als Chan die Sekundenanzeige sah, wurde ihm klar, warum alle stehengeblieben waren: sechs Millionen und zwanzig Sekunden. Die Frau neben Chan begann auf Kantonesisch rückwärts zu zählen: neunzehn, achtzehn, siebzehn. Als die Anzeige auf sechs Millionen sprang, ging ein Raunen durch die Menge, und die Frau sagte zu Chan:
    »Eine Sekunde für jeden von uns – und es werden weniger.« Chan löste sich von ihr, als sich die Menge zerstreute.
    Auf der anderen Seite der beiden Bürotürme des United Center war das Gedränge auf dem Fußweg in Richtung Arsenal Street weniger dicht. Chan überlegte, wie er seinem Chef die Geschichte mit der Küstenwache beibringen sollte. Riley? Chan kannte ihn seit zehn Jahren; er hatte zugesehen, wie er sich seit seiner Ankunft am Flughafen Kai-Tak entwickelt und verändert hatte – wie alle gweilos. Sein kantonesischer Spitzname bedeutete soviel wie »Gummirückgrat«. Dieser Riley war weniger eine Weide, die sich dem Wind beugte, als ein Fossil des britischen Empire, zerbrochen von den Stürmen der Veränderung. Chan machte ihm das nicht zum Vorwurf, denn das Leben im Ausland brachte eine Krankheit mit sich, die sich im Lauf der Jahre verschlimmerte: Schizophrenie.
     
    »Sie sind in chinesische Gewässer eingedrungen?« fragte Riley, als Chan ausgeredet hatte.
    »Es war ein Versehen.«
    Chan beobachtete den Engländer dabei, wie er verschiedene Reaktionen erwog: ein Zwinkern, ein Stirnrunzeln, ein ruhiges Falten der Hände wie zum Gebet, einen gedämpften Schlag auf den Tisch.
    Schließlich biß Riley sich auf die Unterlippe. »Aber die haben Sie doch sicher abgepaßt, oder?«
    »Jemand muß unseren Funkverkehr mit der Küste belauscht und Anweisung an die Küstenwache gegeben haben, uns den Sack abzunehmen. Wie gesagt, das sind keine normalen Ermittlungen. Letzte Woche hat jemand mein Telefon angezapft und meine Akten durchsucht, heute haben sie den Funkverkehr abgehört. Zum Glück waren die Leute von der Küstenwache ziemlich dumm.«
    »Und sie wußten nicht, was in dem Sack ist?«
    Chan schüttelte den Kopf. »Sie haben mich mehrmals gefragt. Als ich es ihnen gesagt habe, haben sie gelacht wie über einen Witz.«
    Riley starrte die Wand an, dann Chan, dann wieder die Wand. Chan beobachtete Riley. Der Taoismus geht von einem Energiezentrum im menschlichen Körper aus, das er » chi «nennt. Rileys chi war wie ein Pingpongball, der zwischen zwei Identitäten hin und her hüpfte, zwischen Herr und Domestike.
    »Sie waren unglaublich mutig. Vielleicht auch unglaublich dumm. Das wird die Zukunft erweisen.« Riley trommelte mit den Fingern auf seinen Schreibtisch. »Allerdings muß ich gestehen, daß mich die Geschichte wütend macht. Wieso meinen diese Kommunistenschweine eigentlich, daß sie sich in meine Ermittlungen einmischen können? Verzeihung, in unsere Ermittlungen, na ja, in Ihre. Vor fünf Jahren hätte ich Ihnen den Rücken gestärkt. Sogar noch vor zwölf Monaten hätte ich Sie unterstützt.« Rileys Blick wirkte eher flehend als verärgert. »Aber jetzt haben wir nur noch zwei Monate, Charlie, die Kommunisten haben doch praktisch schon das Sagen! Die könnten mich wegen der Geschichte drankriegen – na ja, eigentlich eher Sie. Ich werde mich mit dem Commissioner unterhalten müssen.

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