Die Liebe eines Klon
versprach auch dieser Tag angenehm warm zu werden. Sie trug nur eine leichte Häkeljacke über ihrem ärmellosen, aber knöchellangen Baumwollkleid, was allerdings alles andere als sommerlich aussah. Es war dunkelbraun, und das Jäckchen schwarz. Eigentlich standen ihr eher fröhliche Farben, denn sie hatte einen blassen leicht rötlichen Teint und mittelbraunes Haar, was in der Sonne kastanienfarben schimmerte. In diesem Sommer trug sie nur dunkle Farben, allerdings tat sie dies nicht, um anderen zu zeigen, dass sie einen Verlust erlitten hatte, oder weil es auf dem Lande so üblich war. Nein, sie konnte einfach nicht anders. Er war nun schon ein halbes Jahr tot. Wieder, wie bei jedem ihrer mittlerweile zahlreichen Besuchen liefen Tränen über ihre Wangen. Sie hatte sich doch fest vorgenommen heute nicht zu weinen. Heute wollte sie ihm von ihrem Besuch bei seiner Mutter erzählen. Es tat ihnen beiden so gut über Pete zu sprechen, sie würden ihn nie vergessen. Aber all ihre guten Vorsätze, waren dahin, als sie vor seinem Grab stand. Das Bild, sie sah es immer wieder vor sich. Wie sein Sarg hinabgelassen wurde. Der Sarg wirkte so viel kleiner als sie Pete in Erinnerung gehabt hatte. Er war so groß und stark, als könnte nichts und niemand ihm etwas anhaben. Seine Lebensfreude war mehr als nur ansteckend gewesen, als mitreißend empfand sie seine Freude an jeder Minute des Tages. Wie er den Gartenzaun, der um ihr Elternhaus verlief, mit einem leichten Satz übersprang, wobei seine dunkelbraunen Locken durch die Luft wirbelten, als genossen sie jede seiner Bewegungen. Oder wie er sich auf dem Motorrad mehr als nur in die Kurve legte, so dass er eins wurde mit seiner Maschine. Lisa schluckte. All diese kleinen Erinnerungen waren lange, sehr lange her, über zehn Jahre. Ein guter Freund fragte sie einmal warum sie Pete so liebte. Sie konnte es nicht sagen, es gab keine Antwort auf diese Frage. Es gab tausend Antworten auf diese Frage. Er war die einzige und alles erklärende Antwort. Sie hatte ihn nicht lebend wiedergesehen. Auch nicht tot. Und nun lag er da unten, in dieser feuchten, dunklen Erde. Ihr wurde beinahe übel bei dem Gedanken. Die Vorstellung selbst einmal, tief in der Erde begraben zu liegen, verursachte eine fast panische Angst in ihr. Er war erst Anfang Dreißig, nur ein paar Jahre älter als sie. Nie im Leben hätte sie geahnt keine Chance für ein Wiedersehen zu erhalten. Gedankenverloren stand sie da. Während der Wind ihre Haare zerzausten und ihre Tränen trockneten. Plötzlich vernahm sie ein Geräusch, was sie aufhorchen ließ. Das Knacken eines Astes! Als wäre ein Ast unter der Last eines Schrittes gebrochen. Lisa lauschte. Weiter schwache Geräusch, welche sich vom leichten Rauschen des Windes und den fröhlichen Stimmen der Vögel abhoben konnte sie erkennen. Sie hörten sich an wie Schritte, entlang auf den kleinen Kieselsteinen, die um einige Grabstätten verstreut lagen. Wieso Schritte? Suchend sah sie sich um, konnte jedoch keine Menschenseele entdecken. Vielleicht war ein Vogel durchs Astwerk gehüpft, oder eine Maus über die Steine gehuscht. Unsanft wischte sie sich ihre Tränen mit den Handrücken ab und stellte das kleine Efeutöpfchen, das sie mitgebracht hatte, neben seinen Stein. Der Efeu sollte sich um ihn ranken, sich im Boden verankern, wachsen und ihn umarmen, wie sie selbst es nicht mehr tun konnte. Es knackte! Dieses Mal hatte sie es noch deutlicher gehört. Abrupt drehte sie sich um. Sie entdeckte eine Gestalt in einiger Entfernung, hinter den Rhododendronbüschen, unter den schattigen Bäumen, die den Hauptweg bis zur Pforte säumten. Dort stand Jemand und sah zu ihr herüber. Die Gestalt rührte sich nicht. Sie sah zu ihr herüber, ohne aus ihrem Versteck, dem Schatten, hervorzutreten. Lisa sah wieder auf sein Grab hinab, sie hatte einen ziemlichen Schreck bekommen. Woher kam dieser Person so plötzlich? Wurde sie von ihr beobachtet? Lisa war unfähig sich zu bewegen. Warum und wer war es, der sich dort im Schatten verborgen hielt? Sie war bis eben noch ganz alleine auf dem stillen Friedhof, was ihr eigentlich nichts ausmachte, doch nun kroch eine leichte Unruhe in ihr empor. Unruhig wechselte sie von einem auf den anderen Fuß, doch sie wagte es nicht erneut hinüber zu sehen, in Richtung Gebüsch. So etwas blödes, sie schalt sich selbst als eine Hysterikerin, und zwang sich diese verrückten Fragen aus dem Kopf zu schlagen. Sie nahm die verwelkten Sträuße aus den
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