Die Liebe in den Zeiten der Cholera
sein, als er ihn aber gelesen hatte, war alles ungewiß geworden. Wie auch immer, er würde einen Gardenienkranz schicken, für den Fall, daß Jeremiah de Saint-Amour eine letzte Minute der Reue gehabt haben sollte. Das Begräbnis wurde für fünf Uhr angesetzt, das war in den Hitzemonaten die günstigste Zeit. Falls man ihn brauche, ab zwölf Uhr mittags sei er im Landhaus seines lieben Schülers, Doktor Lácides Olivella, zu erreichen, der an diesem Tag mit einem Galaessen sein silbernes Berufsjubiläum begehe.
Doktor Juvenal Urbinos Tagesablauf gehorchte, seit seine Sturm-und-Drang-Jahre vorüber waren und er einen Ruf und eine Respektabilität erlangt hatte, die in der Provinz ihresgleichen suchten, einer leicht einsehbaren Routine. Er stand mit den ersten Hähnen auf, und zu dieser Stunde begann er auch seine geheimen Medizinen einzunehmen: Bromkali, um die Stimmung zu heben, Salycilate gegen die Knochenschmerzen in Regenzeiten, Roggenkeim-Tropfen gegen die Benommenheit, Belladonna, um gut zu schlafen. Er schluckte jede Stunde etwas und immer heimlich, da er sich in seinen langen Jahren als Arzt und Lehrer stets dagegen gewehrt hatte, Palliativa gegen das Alter zu verschreiben: Es fiel ihm leichter, die fremden Schmerzen zu ertragen als die eigenen. Er hatte immer ein kleines Riechkissen mit Kampfer in der Tasche, und wenn ihn niemand beobachtete, atmete er ihn tief ein, um die Angst vor soviel durcheinandergemengten Arzneimitteln abzuwehren. Eine Stunde lang hielt er sich in seinem Arbeitszimmer auf, wo er die Vorlesung für Allgemeinmedizin vorbereitete, die er bis zum Vortag seines Todes täglich montags bis samstags um Punkt acht Uhr im Medizinischen Institut hielt. Er war auch ein aufmerksamer Leser literarischer Neuerscheinungen, die ihm sein Pariser Buchhändler mit der Post schickte oder die sein Buchhändler am Ort für ihn aus Barcelona bestellte, allerdings verfolgte er die spanischsprachige Literatur nicht mit der gleichen Aufmerksamkeit wie die französische. Jedenfalls las er nie morgens, sondern eine Stunde lang nach der Siesta und abends vor dem Schlafen. Vom Arbeitszimmer ging er ins Bad, wo er fünfzehn Minuten lang vor dem offenen Fenster Atemübungen machte, wobei er sich immer der Richtung zuwandte, aus der die Hähne krähten, denn von dort kam die neue Luft. Dann badete er, bürstete seinen Backenbart und wichste den Schnurrbart, alles in einem von Kölnisch Wasser - dem echten Farina Gegenüber - gesättigten Raum, und kleidete sich nun in weißes Leinen, mit Weste, weichem Hut und Halbschuhen aus Korduanleder. Mit seinen einundachtzig Jahren hatte er sich die formlose Umgangsart und die muntere Geistesverfassung aus der Zeit bewahrt, als er, kurz nach der großen Choleraepidemie, aus Paris zurückgekehrt war. Auch das wohlgekämmte Haar mit dem Mittelscheitel glich immer noch dem seiner Jugend, sah man von dem metallischen Farbton ab. Er frühstückte mit der Familie, hielt sich jedoch an seine eigene Diät: ein Aufguß aus Wermutblüten für das Wohlbefinden des Magens und eine Knoblauchknolle, deren Zehen er Stück für Stück schälte und dann mit einer Scheibe Brot gewissenhaft kaute, um den Erstickungsanfällen des Herzens vorzubeugen. Nur selten hatte er nach der Vorlesung nicht irgendwelche Verpflichtungen im Zusammenhang mit seinen staatsbürgerlichen Initiativen, seinem katholischen Engagement oder seinen künstlerischen und sozialen Aktivitäten. Er aß fast immer daheim zu Mittag und hielt eine zehnminütige Siesta, zu der er sich auf die Terrasse zum Innenhof setzte, und hörte in seinen Träumen die Lieder der Dienstmädchen unter dem Laubwerk der Mangos, hörte die Ausrufer auf der Straße, das Dröhnen der Schiffsmotoren in der Bucht, deren Ausdünstungen an den heißen Nachmittagen flügelschlagend durch das Haus zogen, wie ein Engel, der zur Fäulnis verdammt ist. Dann las er eine Stunde lang die neuen Bücher, vor allem Romane und historische Studien, und gab dem zahmen Papageien, der seit Jahren eine lokale Attraktion war, Unterricht in Französisch und Gesang. Um vier Uhr, nachdem er eine große Kanne geeister Limonade getrunken hatte, machte er sich auf den Weg zu seinen Kranken. Trotz seines Alters weigerte er sich, die Patienten in seine Praxis kommen zu lassen. Er versorgte sie weiterhin in ihren eigenen Häusern, wie er es stets seit jener Zeit gehalten hatte, als die Stadt noch so überschaubar war, daß man überallhin zu Fuß gehen konnte.
Seit seiner ersten
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