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Die Listensammlerin

Die Listensammlerin

Titel: Die Listensammlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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Stunden, bis der Stress und der Druck sie ermatteten und sie eines Heldentodes für die sowjetische Heimat starb. Maschka flog mit Onkel Grischas nicht ganz durchdachter und aufgrund schlechter Baumaterialien fehlerhafter Raumflugkörperkonstruktion nur zwei Meter weit, verlor aber dabei einen Teil ihres Schwanzes. Onkel Grischa war danach zwar keineswegs der Ansicht, dass er genug zur Wissenschaft der Raumfahrt beigetragen hatte, sein Vater unterband jedoch jegliche weitere Forschung.
    Als der zehnjährige Onkel Grischa zusammen mit seinen Schulkameraden zum Pionier gekürt werden sollte, schleppte er eine Gott weiß wo aufgetriebene Glatzenperücke an, die der Glatze des Schuldirektors, der ihnen die roten Halstücher feierlich überreichte, zum Verblüffen ähnlich sah, und zog sie sich genau in dem Moment auf den Kopf, als er an der Reihe war, der Pionierversammlung vor dem Angesicht seiner Lehrer, Eltern und Kameraden zu verkünden, dass er bereit sei, die Heimat – Heimat großgeschrieben, obwohl im Russischen eigentlich nur Eigennamen großgeschrieben werden – heiß zu lieben und fürderhin so zu leben, zu lernen und zu kämpfen, wie es der große Lenin angeordnet hat und die Kommunistische Partei es lehrt.
    «Nu, zumindest hat er die Schule geschafft, dafür schon mal danke schön!», sagte Großmutter oft, auch nachdem er die fünfundzwanzig überschritten hatte, so frisch noch schien die Angst vor seinem Rausschmiss aus der Lehranstalt. Er beendete die Schule mit den besten Noten in fast jedem Fach bis auf Benehmen und Gesellschaftswissenschaften, da hatte er die schlechtesten. «Weißt du eigentlich, wie viele Kaviardosen mich deine Schulzeit gekostet hat?», fragte Großmutter in regelmäßigen Abständen. Kaviardosen, Pralinen, die heimliche Währung der blühenden U d SSR . Onkel Grischa lächelte, das schien ihr als Antwort zu reichen.
    Onkel Grischa wurde von allen Onkel Grischa genannt, angeblich war der Name schon vor der Geburt seines ersten Neffen entstanden. Er war eben der allseits beliebte, etwas sonderbare und verrückte, niemals erwachsene Märchenonkel. Geheiratet hat Onkel Grischa nie, auch wenn die Frauen ihm scharenweise nachzulaufen schienen. Dabei sah er nicht etwa auffallend gut aus, er hatte schon mit Anfang zwanzig eine leichte Glatze, auch seinem Vater und seinem Bruder waren die Haare früh abhandengekommen, den verbliebenen Rest an Haaren trug er ungekämmt, sein Brillengestell wechselte er nie, für Mode interessierte er sich nicht. Aber sein Charme, seine Geschichten, seine unbekümmerte, auf eine kindische Weise egoistische Art ließen die Frauen für ihn schwärmen. «Nu, was gefällt dir an ihr schon wieder nicht? So wirst du nie heiraten!», sagte Großmutter bei jeder Verehrerin erneut. Auch seine Schwester drängte ihn, spätestens seit sie selbst verheiratet war und ein Kind hatte (nur eines, weil sie insgeheim befürchtete, ein zweites nicht genug lieben zu können): «Willst du für immer alleine leben? Willst du etwa keine Kinder haben?» Vielleicht wollte Onkel Grischa, aber er schwieg. Freunde hatte er viele.
    Onkel Grischa war Maler, aus Berufung, aber ohne Talent, wie er selbst sagte, und parallel zu seinem Künstlerdasein hatte er alles Mögliche gearbeitet: In einer Fabrik, einer Bibliothek, als Kulissenbauer, in einer Imkerei, als Synchronsprecher, als Hilfswissenschaftler, als Kellner und Koch, er war bei der Marine gewesen, hatte beim Metzger Fleischberge geschnitten, eine Forschungsgruppe als Fotograf nach Sibirien begleitet, hatte dreimal nicht zu Ende studiert, obwohl er, wie Großmutter sagte, «ja schon einen Kopf hatte». Hatte ihm eine Arbeit vorerst genug Geld eingebracht, malte und zeichnete er wieder eine Weile. Er malte mit Aquarellfarbe und Öl auf Staffeleien und stapelte die Bilder hinter einem Raumteiler in seinem Zimmer; er malte mit Kohle auf Zeichenblöcken in der Natur, am liebsten ging er dazu an einen Fluss zu den Anglern. Still wie sie saß er tagelang da, sie angelten, er malte, manchmal fragte er, wie es lief, fachsimpelte kurz über Strömung und Wasser, über das Wetter oder den gestrigen Fang … Sie beäugten ihn erst skeptisch, wussten nicht, ob sie sich auch nach seinen Fortschritten erkundigen sollten, akzeptierten ihn nach einer Weile als Sonderling und teilten ihren Proviant mit ihm.
    Kindern zeichnete Onkel Grischa im Schnellverfahren Karikaturen ihrer Eltern, Großeltern und Lehrer, sie behängten stolz ihre Wände

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