Herzschlagmelodie - Band 1
Kapitel 1 – Henry
„Moment mal, junger Mann!“, hörte ich meinen Dad rufen, gerade als ich mich aus dem Haus schleichen wollte.
„Du willst jetzt schon gehen?“, fragte er und starrte mich aus großen Augen an.
„Dad!? Das Huhn!“ Ich konnte es kaum glauben, aber er war mir mit einem aufgetauten Huhn gefolgt, das er in seinen Händen hielt. Eigentlich hatte ich gehofft, dass er zu beschäftigt wäre, um mich zu bemerken, wenn ich mich zu Julie schleichen würde. Aber daraus wurde wohl nichts.
„Ja, genau, Richard!“ Meine Mutter stand plötzlich hinter meinem Vater und schüttelte genervt den Kopf.
„Was rennst du mit dem Huhn hier herum? Das gehört in den Bräter, nicht ins Wohnzimmer!“ Sie entriss ihm das gerupfte Federvieh und stapfte zurück in die Küche.
„Ja … aber ...“, stammelte mein Vater, was für mich die perfekte Gelegenheit war, der Situation zu entkommen.
„Junger Mann!“, rief mein Vater streng und kam auf mich zu. Dabei hielt er seine Hände auf Schulterhöhe in die Luft, da sie voller Marinade und Gewürze waren.
„Ja?“, fragte ich. Dabei versuchte ich nicht allzu genervt zu klingen, was mir anscheinend nicht so gut gelang, denn mein Dad hatte wieder diesen Blick. Diesen einen Blick, der mir wohl sagen sollte, dass ich es eindeutig zu weit trieb.
„Es ist erst kurz nach eins. Du willst doch wohl nicht jetzt schon rübergehen?“
„Ich bin aber verabredet. Eigentlich bin ich sogar schon zu spät.“ Ja gut. Ich hatte zweimal geduscht, mich mehrmals umgezogen und das alles nur, weil ich anfangs zu viel von meinem Parfüm aufgetragen hatte.
„Du kannst doch nicht ständig bei den Boltens rumlungern. Die fahren doch gleich eh weg. Ich finde es allgemein nicht gut, dass du ständig drüben bist. Thomas und Anna haben genug zu tun, da müssen sie nicht auch noch auf dich aufpassen.“ Er klang dabei wie üblich recht belehrend, was ich nicht kommentieren wollte, aber es purzelte einfach aus meinem Mund heraus, ehe ich darüber nachdenken konnte: „Sie müssen nicht auf mich aufpassen, ich will ja zu Julie. Die Blumen, Dad! Sie brauchen Wasser, sonst sind sie gleich ganz verwelkt. Das wäre kein gutes Geschenk.“ Musste er mich aufhalten? Hatte er nichts zu tun?
„Schatz! Jetzt lass den Jungen doch endlich gehen und hilf mir in der Küche!“ Ein Glück, dass meine Mutter erneut in den Flur platzte und es mit ihrer bezaubernd strengen Art schaffte, meinen Vater dazu zu bewegen, sich endlich von mir zu entfernen.
„Dann bring ihnen aber ein Gastgeschenk mit!“ Mein Vater zuckte mit seinem Ellenbogen, als wollte er auf etwas zeigen. „Nimm eine davon mit und bedanke dich artig!“ Er deutete auf das kleine Regal im Flur, wo einige seiner Weine lagen. Er war stolz auf seine Sammlung. Eigentlich lagerten die Weine ursprünglich im Keller, aber meine Mom erlaubte ihm nur noch dieses eine Regal. Der Keller wurde als Lagerraum umfunktioniert, sodass kein Platz mehr für seinen Alkohol war.
„Hatte Thomas nicht einmal erwähnt, dass er weniger trinken möchte?“ Meine Mutter stand erneut im Flur. Auch sie hielt ihre Hände in die Luft, da sie nichts dreckig machen wollte. Beide zusammen gaben ein sehr skurriles Bild ab.
„Ach, Papperlapapp! Ein guter Wein hat noch niemandem geschadet! Junge, komm und nimm eine Flasche mit.“
Da half keine Diskussion.
„Klar“, murmelte ich. Solange ich dann gehen konnte, war mir alles recht. Ich nahm eine beliebige Flasche aus dem Regal.
„Nicht die! Die andere!“, rief mein Vater und fuchtelte mit den Armen. „Er mag keinen Weißwein. Thomas liebt aber Rotwei ne. Den Baccanera muss er unbedingt probieren. Sag ihm, wenn er ihn gekostet hat, soll er mich anrufen.“
„Dad. Er wohnt gleich nebenan. Wie wäre es, wenn du einfach rübergehst?“ Seit wann war ich sein Laufbursche? Ich tauschte die Flaschen aus und blickte meinen Vater entnervt an.
„Nein, ich will die beiden nicht stören. Sie fahren ja gleich los. Aber sag ihm ...“
„Jaja, schon verstanden. Darf ich jetzt gehen?“
„Na, dann geh nur. Aber mach nichts kaputt und stell nichts an!“ Er wedelte noch einmal mit seinen Händen herum, was wohl drohend gemeint war. Durch die Kräuter und das Öl an seinen Händen und die unnatürliche Haltung wirkte es eher belustigend auf mich.
Mit dem Wein in der einen und den Blumen in der anderen Hand schaffte ich es endlich bis in den Garten. Vorbei am Pool und über die Wiese bis zu den hohen Büschen, die
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