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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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ist kein besonders verständnisvoller Mann. Hätte Nikolaus sich ihm anvertraut, um den Tod Eurer Mutter rächen zu lassen, wäre viel unschuldiges Blut geflossen.«
    »Meine Mutter hätte das niemals gewollt!« rief Philippa aus. »Wenn ich mich an eines erinnere, dann an ihren Sinn für Verantwortung!«
    Katharina nickte. »Mein Bruder war derselben Ansicht, und doch hat es ihn all die Jahre gequält, daß er die wahren Umstände ihres Todes selbst vor seinen Kindern geheimhalten mußte.«
    Philippa nahm die Figur vom Tisch und drehte sie nach allen Seiten, ohne darauf zu achten, daß ihre Fingerspitzen bald ölig glänzten.
    »Eine überaus kunstvolle Arbeit«, sagte Katharina mit anerkennendem Blick. »Die Italiener verstehen nicht nur die Kunst der Bildhauerei. Francesca hat einmal gesagt, sie habe das Antlitz der Heiligen als Vorlage für eine der Damen auf ihrem Wandbehang benutzt. Sie bezeichnete diesen Teppich und besonders das Gesicht der abgebildeten Frauengestalt als Schlüssel zum Glück. Keine Ahnung, was sie damit gemeint hat, aber so war sie nun mal: verträumt und tatkräftig zugleich.«
    »Und somit das genaue Gegenteil von deinem Bruder, Gott sei ihm gnädig«, murmelte Luther und stapfte zur Tür. Er schien mit seinen Gedanken längst wieder in seiner Schreibstube zu weilen.

23. Kapitel
    »Und du willst es dir wirklich nicht noch einmal überlegen, mein Kind? Hoffentlich weißt du, daß du in unserem Hause immer willkommen sein wirst!«
    Katharina Luther lief um den Wagen herum, der von Valentin Schuhbrügg und Magister Bernardi mit Kisten und Bündeln aus grobem Stoff beladen worden war und nun zur Abfahrt bereitstand. Philippa beobachtete, wie die beiden Männer die Plane des Verdecks mit vier starken Seilen am Aufsatz befestigten. Roswitha trat mit zwei bis zum Rand gefüllten Körben aus dem Vorratshaus. Ihre Augen tränten vom Qualm des Räucherfeuers.
    »Es war sehr aufmerksam von Frau Wibrandis, dich und deine Amme nach Straßburg einzuladen«, nahm die Lutherin einen erneuten Anlauf, ihre Nichte aus ihren Gedanken zu holen. Mit argwöhnischem Blick verfolgte sie, wie Roswitha mit dem Proviant über das faulige Stroh zum Wagen lief. »Für uns wird dein Weggang allerdings ein herber Verlust sein. Ich habe mich erkundigt. Die Mädchen waren mit dem Unterricht ihrer Schulmeisterin sehr zufrieden, auch wenn du aus bestimmten Gründen oft fort warst. Und die Bücher, die ich dir vor meiner Reise nach Altenburg anvertraut habe, verraten mir, daß du dich auf ordentliches Wirtschaften verstehst!«
    Philippa schüttelte lächelnd den Kopf. Sie trug den kostbaren gelben Mantel mit dem Pelzfutter, den die Lutherin ihr geschenkt hatte, und eine ausladende Haube mit Kinnband und hauchdünnem Schleier, der nach Meinung ihrer Tante eher für den Sommer taugte. In ihren Augenwinkeln schimmerten mühsam unterdrückte Tränen, die wie Eiskristalle aussahen. Katharina war versucht, sie der Kälte zuzuschreiben, die nach den wenigen heiteren Frühlingstagen der vergangenen Woche plötzlich wieder über Wittenberg hereingebrochen war. Es konnte sich jedoch auch um Tränen des Abschiedsschmerzes handeln. Auf einmal wurde ihr deutlich, wie wenig sie doch von ihrer Nichte wußte, die vor nicht allzu langer Zeit Schutz in ihrem Hause gesucht hatte und es nun vielleicht für immer wieder verließ.
    »Ich bin Eurem Gatten und Herrn Melanchthon von Herzen dankbar, daß sie nicht darauf bestanden, mich gegen meinen Willen in Wittenberg festzuhalten. Obgleich ich nach geltendem Recht nach wie vor ihr Mündel bin. Doch versteht mich bitte: Es ist einfach soviel geschehen, Tante …« Sie ließ ihre Blicke über die vertrauten Mauern und Dächer wandern.
    »Wir wollen nicht mehr davon reden, mein Kind«, wiegelte Katharina ab. Sie räusperte sich. »Straßburg wird dir guttun. Du kannst das Stadtleben genießen, und die Capitos werden ein Auge auf dich haben. Wenn es Gottes Wille ist, dann auch auf ihn!« Sie deutete mit dem Kinn in Bernardis Richtung, der sich mit einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter bei Valentin für dessen Hilfe bedankte.
    Philippa blickte sich nachdenklich um. Es war ihr nicht leichtgefallen, ihren Onkel um Erlaubnis für Felix Bernardis Begleitung zu bitten. Dennoch hatte sie es getan, weil sie daran glaubte, daß Groll und Mißverständnisse nicht für ewig bestehen bleiben durften. Weder zwischen Doktor Luther und seinem ehemaligen Schüler noch zwischen zwei Menschen, denen trotz

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