Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab

0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab

Titel: 0105 - Rückkehr aus dem Geistergrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhart Hartsch
Vom Netzwerk:
Was für die Lebenden Geschichte geworden war, festgehalten in alten Kirchenbüchern - für ihn bedeutete es blutige Wirklichkeit. Nacht für Nacht, wenn er sein Grab verließ, um seinen Opfern zu begegnen. Sie vom Leben zum Tode zu befördern in sinnloser Wiederholung, ein Kreislauf des Grauens. Ein Fluch lastete auf ihm. Die Verwünschungen derer, die unschuldig gestorben waren, verfolgten ihn. Trieben ihn nachts aus der Gruft, in die nachfolgende Geschlechter ihn gebettet hatten. Nachdem beschlossen worden war, daß er in geweihter Erde nicht liegen sollte. Verbannt und gemieden zu Lebzeiten, ausgestoßen auf alle Zeiten aus der Gemeinschaft der Lebenden wie der Toten.
    Das Wissen um seine Grabstätte war verlorengegangen. Seine Taten waren liegende geworden. Nur für die, die ihm unvermittelt begegneten, konnte blutige Wirklichkeit werden, was in das Reich der Mythen und Fabeln zu gehören schien.
    Der Scharfrichter von Mazamet war ein großer hagerer Mann. Unter dem enganliegenden Trikot zeichneten sich seine Muskeln ab. Die Kapuze ließ nur das Gesicht frei. Er trug es unverdeckt. Erst, wenn er seinen Delinquenten begegnete, ließ er den Gesichtsschleier herunter.
    Hindernisse schienen führ ihn, dessen wirklichen Namen niemand mehr kannte, nicht zu existieren. Die Erscheinung bewegte sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit, ob der Weg, der sich durch Gras und Heide schlängelte, anstieg oder abfiel. Bisweilen versperrten Felsbrocken den Pfad, aber der Henker ging hindurch, als wären sie nicht vorhanden.
    »Kommen Sie!« drängte Zamorra, bereit, die Verfolgung aufzunehmen. »Wir müssen sehen, was er treibt!«
    »Nicht um alles in der Welt«, flüsterte der alte Mann, der Louis Barret hieß und bisweilen in dieser Gegend Heilkräuter sammelte. Dabei war er auf den Scharfrichter aufmerksam geworden und hatte sich entschlossen, jemand zu benachrichtigen, der von diesen Dingen mehr verstand als jeder andere Sterbliche.
    Professor Zamorra war prompt dem Ruf gefolgt. Denn er begriff, daß er bei dieser Gelegenheit durchaus das Verschwinden einiger Personen klären konnte, die in dem Gebiet auf rätselhafte Weise untergetaucht waren. Zuletzt ein englisches Ehepaar, das in den Bergen campiert hatte, weitab von der Zivilisation und den Behausungen der Einheimischen.
    Barret bekreuzigte sich.
    »Tun Sie, Professor, was Sie für richtig halten«, krächzte der Alte. »Lassen Sie mich aber aus dem Spiel. Denn ich fürchte mich. Ich habe nichts, was mich vor dem Kerl schützen würde, wenn er mich krallt. Und ich habe keine Lust, mit dem Kopf auf einem Richtblock zu enden. Was glauben Sie, macht er jetzt? Ich will es Ihnen verraten: er marschiert zum Blutgerüst und schlägt Köpfe ab. Ich möchte nicht, daß meiner dazwischen gerät. Ich brauche ihn noch.«
    »In Ordnung, Louis«, nickte der Professor. »Gehen Sie zurück ins Dorf Meine Sekretärin muß morgen eintreffen. Ich habe sie gebeten, herzukommen, weil ich mich inzwischen überzeugen durfte, daß Sie mir keine Märchen erzählt haben. Ich brauche also Nicole, um ein Protokoll der Ereignisse schreiben zu lassen. Ein Dokument, in dem alle Beweise für die Existenz des Scharfrichters von Mazamet enthalten sind, um eine ungläubige Welt zu überzeugen.«
    »Ich hoffe nur, daß im ersten Abschnitt nicht das Protokoll Ihres Todes zu lesen ist«, stöhnte Louis Barret.
    Professor Zamorra lächelte nicht einmal flüchtig.
    »Ich weiß, wie gefährlich mein Plan ist. Aber ich habe keine Wahl. Ich habe mir geschworen, jedem Spuk ein Ende zu setzen, der Menschen ins Verderben führen kann. Über Mangel an Arbeit kann ich mich da wahrlich nicht beklagen.«
    »Gehen Sie mit Gott, Monsieur. Ich werde Ihre Sekretärin im Gasthof erwarten. Sie kann notfalls - falls Sie, Professor - bis dahin nicht wieder aufgetaucht sind, die Suchaktion einleiten. Ich möchte mit diesen Dingen nichts zu tun haben. Ich will nicht, daß mein Name bekannt wird.«
    Louis Barret erhob sich und wandte sich zum Gehen. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß keine unmittelbare Gefahr drohte. Der Scharfrichter war in einem unübersichtlichen Geröllfeld am Fuße eines höheren Berges verschwunden.
    »Ich muß mich beeilen«, murmelte Zamorra.
    Sie trennten sich.
    Während Barret wie von allen Furien gehetzt den Lichtern von Mazamet zueilte, nahm der Professor beherzt die Verfolgung auf.
    Ihm machte das Gelände mehr zu schaffen. Er mußte Hindernisse umgehen. Dabei folgte er keiner anderen Spur als

Weitere Kostenlose Bücher