Die Mappe meines Urgrossvaters
oder in Pirling draußen gewesen war, bald eine Blume mit, bald ein Steinchen, das sie noch nicht hatte, oder ein Band, oder sonst etwas, zum Beispiele, ein Ding, wo hinein sie ihre Nadeln und Scheren legen konnte. Sie fing auf einem seidenen Tuche Blumen zu sticken an, und sagte, das würde über die große Tasche gespannt werden, in welcher ich immer meine Papiere hätte; dann machte sie mit Gold und Seide ein Ding auf mehrere Bänder, und erklärte mir, das müsse auf die Halsgeschirre der Rappen gethan werden, wenn ich einmal im Winter im Putze mit ihnen ausführe.
Wir fuhren an allen Sonn- und Festtagen in die Kirche nach Sillerau. Da sahen alle Menschen nach ihrer Schönheit hinüber, wenn sie in dem Querstuhle vorn neben ihrem Vater saß. Er hatte an allen großen Festtagen die goldene Kette um, die ihm der Kaiser einmal gegeben hatte, und sie hatte alsdann ein seidenes Gewand mit einem kleinen Zipfel als Schleppe. Mir war sie aber immer lieber, wenn sie in ihrem Hausgewande neben uns in dem Bücherzimmer war, oder in Feld und Wald, und sich nicht so sehr darauf Acht zu geben hatte, als auf das seidene.
Gegen Ende des Sommers kletterte ich einmal um eine seltene Blume auf die Schneide des Dusterwaldes, weil ich wußte, daß sie dort um diese Zeit blühe, und brachte sie ihr. Sie hatte eine sehr große Freude darüber.
So ging der Sommer dahin. Wir wandelten wieder, wie im vorigen, in allen Wäldern, Wiesen und Feldern herum, nur daß wir heuer oft noch viel weiter waren, als im vorigen Jahre, und manchen beschwerlichen Weg machten, um irgend einen Platz zu besuchen, von dem man Pracht und Schönheit der Wälder überblicken konnte, oder wo die schauerliche Majestät war, da sich Felsen thürmten, Wasser herab stürzten, und erhabene Bäume standen.
Ich hatte den ganzen Sommer hindurch nicht mehr gefragt, ob sie mich liebe. Einmal aber, im späten Herbste, da wir im Eichenhage draußen bei der großen Eiche ihres Vaters standen, alle Gesträuche schon die gelben Blätter fallen ließen, nur die Eichen noch ihren rostbraunen Schmuck recht fest in den Zweigen hielten, fragte ich sie wieder: »Margarita, habt ihr mich wohl lieb?«
»Ich liebe euch sehr,« antwortete sie, »ich hab' euch über alles lieb. Nach meinem Vater seid ihr mir der liebste Mann auf der Welt.«
Sie hatte dieses Mal die Augen nicht nieder geschlagen, sondern sie sah mich an, aber auf die Wangen ging doch ein recht schönes sanftes Roth, als sie dieses sagte.
»Ich liebe euch auch recht innig,« antwortete ich, »ich liebe euch mehr, als alle andern Menschen dieser Erde, und da mir alle Angehörigen gestorben sind, so seid ihr auf dieser Welt das Höchste, das ich liebe. Ich werde euch auch in alle Ewigkeit lieben, euch ganz allein, - hier auf dieser Welt, so lange ich lebe, und im Jenseits wieder.«
Sie reichte mir ihre Hand. Ich faßte sie, und wir drückten uns die Hände. - Wir ließen dann dieselben nicht los, sondern hielten uns an ihnen. Wir blieben noch länger stehen, schwiegen, und sahen in das verdorrte Gras nieder. Einzelne gelbe Blätter lagen von den Gesträuchen, die unter den Eichen wuchsen, und die schwach wärmenden Sonnenstrahlen der späten Jahreszeit spielten zwischen den Stämmen und den Zweigen röthlich herein.
Dann gingen wir in das Haghaus, und sie mußte dem Vater an dem Tage noch lange vorlesen. Ich hörte zu, und ging in der Nacht nach Hause.
Ach - es war jetzt so schön auf der Erde, - so mit Worten unaussprechlich schön. Ich kniete einmal auf den Schemel, der in meiner Stube vor dem Fenster ist, nieder, da draußen Nacht war, und unendlich viele Herbststerne an dem Himmel glänzten, und dankte Gott für mein Glück.
Seit meine Angehörigen gestorben waren, war keine so schöne Zeit gewesen.
Ich ging jeden Tag in das Haghaus hinauf. Selbst als der Winter gekommen war, und als ich nicht nur den Vormittag, wie sonst, sondern meistens auch den Nachmittag in meinen Geschäften zubringen mußte - denn erstens konnte ich wegen der großen Finsterniß nicht früh genug ausfahren, und zweitens hatten sich die Krankheiten vermehrt - ging ich doch noch immer, wenn nur die Nacht nicht zu weit vorgerückt war, in das Haus hinauf, und sah die letzten Scheite in der großen Heize in dem Büchergemache verglimmen. Wenn ich zuweilen ganz durchnäßt nach Hause kam, weil es nicht selten von dem Wagen oder Schlitten weg noch durch wilde Schneehaufen oder Wässer zu einer Hütte, in der ein Kranker lag, zu klettern war:
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