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Die Mars-Chroniken

Die Mars-Chroniken

Titel: Die Mars-Chroniken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Sonne ging unter. Der Raum war plötzlich eng und von Kälte erfüllt.
    »Ich versuche, mich zu erinnern«, sagte sie und sah ihren Mann an, der abweisend, starr und goldäugig ihr gegenübersaß.
    »An was?« Er schlürfte seinen Wein.
    »An das Lied. An das schöne Lied.« Sie schloß die Augen und summte eine Melodie, aber es war nicht das Lied. »Ich hab’s vergessen. Dabei dachte ich, ich würde es nie vergessen, wollte es nie vergessen. Es ist etwas, an das ich mich immer erinnern möchte.« Sie bewegte die Hände, als könnte ihr der Rhythmus der Bewegung helfen, die Melodie wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Dann lehnte sie sich entmutigt in ihrem Stuhl zurück. »Ich kann mich nicht erinnern.« Sie begann zu weinen.
    »Warum weinst du?« fragte er.
    »Ich weiß nicht. Ich weiß es nicht, aber ich kann nichts dagegen tun. Ich bin traurig, aber ich weiß nicht, warum; ich weine und weiß nicht, warum…«
    Sie barg den Kopf in den Händen, und ihre Schultern zuckten.
    »Morgen ist alles wieder gut«, sagte er.
    Sie sah ihn nicht an; sie blickte in die Wüste hinaus und auf die hellschimmernden Sterne, die am schwarzen Himmel erschienen waren, und weit entfernt war das Geräusch des Windes zu hören und des kalten Wassers, das sich in den langen Kanälen bewegte. Zitternd schloß sie die Augen.
    »Ja«, sagte sie. »Morgen ist alles wieder gut.«
     

August 1999: Die Sommernacht
     
    Auf den steinernen Galerien standen die Menschen in kleinen Gruppen beieinander – Gruppen, die sich in den Schatten zwischen den blauen Hügeln verloren. Die Sterne und der schimmernde Doppelmond des Mars überfluteten sie mit sanftem Nachtlicht. Außerhalb des marmornen Amphitheaters erstreckten sich in der Dunkelheit weithin kleine Städte und Villen und Teiche, deren regloses Wasser silbern leuchtete, und Kanäle glitzerten von Horizont zu Horizont. Es war ein sommerlicher Abend auf dem friedlichen, ruhigen Planeten Mars. Auf den grünen Weinkanälen zogen Boote dahin, zierlich wie bronzene Blumen. In den endlos langen Siedlungen, die sich wie erstarrte Schlangen über die Hügel zogen, lagen Verliebte auf kühlen Bettlaken und flüsterten leise miteinander. Kinder rannten durch die von Fackeln erleuchteten Gassen, goldene Spinnen in den Händen, die ihre Netzschleier auswarfen. Hier und da wurde ein spätes Abendbrot bereitet an Tischen, in denen silbrige Lava sprudelte. In den Amphitheatern der Städte auf der Nachtseite des Mars richteten die braunhäutigen Marsianer erwartungsvoll ihre goldenen Knopfaugen auf die Bühnen, von denen Musiker heitere Melodien wie Blütenduft in die Luft steigen ließen.
     
    Auf einer Bühne sang eine Frau.
    Unruhe entstand im Publikum.
    Sie unterbrach ihren Gesang und fuhr sich mit der Hand an die Kehle. Sie nickte den Musikern zu, und sie fingen noch einmal von vorn an.
    Die Musiker spielten, und sie sang, und diesmal seufzte das Publikum auf und beugte sich vor; einige Männer standen überrascht auf, als ein winterlicher Hauch durch das Amphitheater wehte. Denn die Frau sang ein seltsames, erschreckendes, völlig unbekanntes Lied. Sie versuchte vergeblich, die Worte zurückzuhalten, die ihr von den Lippen strömten, und sie sang:
     
    In Schönheit strahlt sie, wie am Himmelszelt
    Des Nachts die klare Pracht der Sternenflammen,
    Und alles Gute dieser Schattenwelt
    In Aug’ und Anmut trifft zusammen.
     
    Die Sängerin hielt sich schließlich die Hände vor den Mund. Erschreckt sah sie sich um.
    »Was sind das für Worte?« fragten die Musiker.
    »Was ist das für ein Lied?«
    »Was ist das für eine Sprache!«
    Und als sie die goldenen Hörner wieder an die Lippen setzten, ertönte von neuem die seltsame Melodie und schwebte langsam über das Publikum hin, das nun aufsprang und laut durcheinanderzureden begann.
    »Was ist los mit dir?« fragten sich die Musiker gegenseitig. »Was spielst du da für eine Melodie?«
    »Was für eine Melodie hast du denn gespielt?«
    Die Frau weinte und lief von der Bühne. Und das Publikum verließ beunruhigt das Amphitheater. Und ringsum in den anderen Städten war ähnliches passiert. Kälte war hereingebrochen wie weißer Schnee, der vom Himmel herabschwebt.
     
    In den dunklen Gassen, unter den Fackeln, sangen die Kinder:
    …als sie zum Schrank kam, war er leer,
    Und für den Hund, da gab’s nichts mehr!
    »Kinder!« rief es. »Was ist das für ein Vers? Wo habt ihr den gelernt?«
    »Er ist uns einfach eingefallen, so ganz plötzlich. Sind nur

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