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Die Maya-Midgard-Mission

Die Maya-Midgard-Mission

Titel: Die Maya-Midgard-Mission Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Sieberichs
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Hunde vergaßen zu heulen. O bwohl die Nacht des vollen Mondes gekommen war und der Beginn der Trockenzeit, hatten die Menschen im Dreikönigsreich Cobá, Yaxuná und Toxtlipan die Mond-Göttin seit vielen Tagen und Nächten nicht mehr gesehen. Der Regen verhüllte die ganze Welt mit seinem nassen Schleier und schluckte in diesen schiefergrauen Nächten ihren himmlischen Duft und Glanz. Aber er schluckte auch die Geräusche der Flüchtlinge.
    Für Kabyum Kin war der Regen ein Sinnbild, das sein Vorhaben noch erstrebenswerter machte, als es ohnehin schon war. Sie alle, jeder ei nzelne der 34 Frauen, Männer und Kinder, die sich ihm angeschlossen hatten, wollten der Sonne entgegengehen. Dieses heißgeliebte Gestirn – der Vater allen Seins – sollte seinen Kindern und Kindeskindern auch morgen noch scheinen. Dafür waren sie sogar bereit, die Gesetze der Priester zu missachten und somit den Zorn der Götter auf sich zu ziehen. Mutter Erde und Vater Sonne würden sie beschützen.
    Die Leute der Gruppe nannten Kabyum Kin, 'den Herrn, der der Sonne zur Hand geht' , weil er nicht nur das Sonnenlicht in ihre Häuser gebracht hatte, sondern es als Baumeister einer helleren Zukunft auch in die Köpfe und Herzen der Menschen tragen wollte. Für seine Anhänger war er nicht nur ist'at , der Kundige, er war auch ihr Lotse in ein besseres Leben; ihr Stratege, ihr geistiger Führer durch die Nebel der Zeit. Weder die große Dürre, die Sintflut, noch das Fieber oder der Schmerz hatten Kabyum Kin getötet. Selbst die Intrigen der neuen Herren von Cobá, Yaxuná und Toxtlipan hatte er bislang ohne körperliche Schäden überstanden.
    Dafür hatte ihn das Schicksal seiner Familie umso härter getroffen. Zuerst war NeunAuge, seine Frau, gestorben. Trotz all ihrer Kraft und seiner liebevollen Zuwendung hatten sie gemeinsam den Gang nach mitnal nicht aufhalten können. Die Bösen Winde aus dem Westen hatten das gelbe Fi eber über die Berge ins Tiefland gehustet. Und das Fieber war stärker als Lebenswille und Liebe und hatte seine geliebte Frau und nacheinander fünf ihrer sechs Kinder hinweggerafft. Leise und ohne langes Leiden waren ihre Lebenslichter erloschen. Als hätten sie sich entschlossen, der guten Mutter, dem Mittelpunkt ihres kindlichen Universums, ohne überflüssige Verzögerungen zu folgen. Mahucutah, ihr Erstgeborener, Chankin, AbendStern, Bolon und BlattGrün. Sie alle hatte er bestattet; in der Kammer unter seinem Haus, wo auch schon NeunAuge ihre Reise nach mitnal angetreten hatte.
    Und FeuerLicht, der Letztgeborene lag nun ebenfalls im Sterben. Sein Lebenslicht flackerte, und drohte schon viel zu bald zu verglimmen wie das Glühen eines Kienspans im Monsunregen. Eine Woche noch, vielleicht zwei. Ein pa ar Regentropfen, und die zarte Glut würde endgültig erloschen sein.
    Kabyum Kin glaubte nicht, dass er den Tod seines letzten Kindes auch noch ertragen könnte, ohne den Verstand zu verlieren. Was hatte er verbrochen, dass die Götter ihn so leiden ließen? Seine Flucht war auch eine Flucht vor ihrer Willkür.
    Kabyum Kin streifte sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht und stolperte über eine Wurzel. Er wagte es nicht, eine Fackel oder eine kleine Talglampe zu entzünden, weil er fürchtete, entdeckt zu werden. Die Fliehenden hielten sich an den Händen gefasst und hatten eine Menschenkette gebildet, die sich Schritt für Schritt vorwärts tastete. Sie hatten den Weg zwischen den Lagerhäusern aus der Stadt hinaus gewählt, weil hier niemand wohnte. Kein Nachtschwärmer oder Mondanbeter, den die seltsame Prozession schweigender und durchnässter Menschen hätte misstrauisch machen können. Und die Hunde hatten sich bei diesem Wetter in trockenere Winkel verzogen.
    Kabyum Kin wusste, dass wie immer gegen Ende der Regenzeit, die Vorräte in den Lage rhäusern zur Neige gingen – besonders nach den Missernten der vergangenen Jahre. Deshalb wurden die Speicher auch nicht mehr bewacht. Ein letztes Mal schaute er zurück. Sein Blick schweifte über die Stadt, die im Dunkel lag; die Häuser, die er zum großen Teil alleine ersonnen hatte. Die Umrisse Toxtlipans waren nur schemenhaft zu erkennen: der monströse Tempelberg mit dem Opfertempel am Ostrand der Stadt, erst kürzlich geweiht und auf Weisung der neuen Herrscher alle älteren Gebäude überragend, mit kostbaren Fresken, die doch nur die Fratzen der blutdürstigen Götter und die Gräuelgeschichten ihrer machtgierigen Priester abbildeten; die breiten

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