0634 - Duell der Schamanen
Ins Lager zurückgekehrt, schwieg Tamote zunächst über seine Beobachtung. Er zog sich in seine Hütte zurück und überlegte, was er davon zu halten hatte. Auch dem Häuptling berichtete er nicht von den beiden Fremden.
Noch nicht.
Er mußte erst einmal für sich selbst herausfinden, was es zu bedeuten hatte, daß der Schwarze zaubern konnte. Es mußte Zauberei sein, was er tat, denn keinem normalen Menschen wäre dies möglich gewesen. Nicht einmal einem Schamanen, so stark dessen Medizin auch sein mochte.
Tamote war nicht sicher, ob er nachvollziehen konnte, was der Schwarze getan hatte, selbst wenn er den Großen Geist um eine besondere Gunst bat.
Es gab zwei Möglichkeiten.
Die eine: der Schwarze war ein von den Geistern gesegneter Schamane.
Die andere: er war von ihnen verflucht und ein Knecht des Bösen. Ein Verfluchter, dessen Anwesenheit allein schon reichte, Unheil heraufzubeschwören.
Das mußte Tamote herausfinden.
Wenn der zweite Fall zutraf, gab es nur eine einzige Möglichkeit, das Lager und den Stamm vor dem Bösen zu bewahren: Der Schwarze mußte getötet werden. Und zwar rechtzeitig, ehe er das Unheil über die Menschen bringen konnte.
Aber wenn seine Kräfte gut waren, war es böse, ihn zu töten.
Deshalb würde Tamote mit ihm reden müssen.
Zum ersten Mal wurde Tamote bewußt, welche Verantwortung auf ihm lastete.
Es ging nicht allein darum, den Segen der Götter für eine gute Jagd zu erbitten und die Geister der Beutetiere um Vergebung zu bitten dafür, daß man ihre Körper tötete, um ihr Fleisch zu essen und aus ihrem Fell Kleidung und aus ihren Knochen Pfeilspitzen und andere nützliche Dinge zu machen.
Hier ging es um Wohl oder Wehe des gesamten Dorfes, vielleicht sogar um das aller anderen Menschen.
Tamote mußte herausfinden, wer und was der Schwarze war.
Deshalb mußte er zu ihm gehen.
Nur er war in der Lage, die Wahrheit herauszufinden.
Er fragte sich nicht, was der Häuptling dazu sagen würde.
Er mußte es einfach tun.
Und so verließ er seine Hütte wieder, um dem Schwarzen und seinem seltsamen Begleiter entgegenzugehen.
Ganz wohl war ihm dabei nicht.
Er gestand sich ein, daß er sich vor der Begegnung fürchtete.
Aber was sollte er tun?
Es war seine Aufgabe, der er sich nicht entziehen konnte und durfte…
***
Niemand fragte ihn, wohin er ging. Das war normal. Als Schamane des Dorfes war er niemandem Rechenschaft schuldig. Nicht einmal dem Häuptling. Aber diesmal wäre er froh gewesen, mit jemandem über das reden zu können, was er zu tun im Begriff war. Vielleicht hätte ein anderer einen Weg gesehen, der Tamote von seiner Pflicht entband.
Er verließ das Lager, aber dort, wo er den Schwarzen und seinen großen, dicken Begleiter gesehen hatte, der rote Haare im Gesicht trug, fand er ihn nicht. Dafür aber eine Menge Spuren. Es war leicht, ihnen zu folgen.
Die beiden Fremden bewegten sich weiter am Großen Fluß entlang, der Strömung und damit auch dem Lager entgegen. Das bedeutete, für die Krieger der hohen Klippe wurde die Zeit knapp.
Bald schon holte Tamote sie ein. Aber er gab sich ihnen noch nicht zu erkennen, wie er auch schon bei der ersten Begegnung darauf verzichtet hatte, sich ihnen zu zeigen. Noch beobachtete er nur. Und er stellte etwas seltsames fest.
Die beiden Wesen waren untereinander zerstritten.
Der kleine Schwarze schien dabei trotz seiner ungeheuer großen Medizin immer zu unterliegen. Er gehorchte den Befehlen des großen Mannes mit den roten Haaren im Gesicht. Jener scheuchte den Schwarzen ständig hin und her, trug ihm allerlei Arbeiten auf, die der Schwarze mit deutlichem Mißvergnügen verrichtete, ohne dabei seine Medizin zu benutzen. Das erstaunte Tamote. Der Schwarze hätte sich die Arbeit wesentlich erleichtern können, wenn er zu seiner Zauberkunst gegriffen hätte. Das tat er jedoch nicht.
Das deutete darauf hin, daß er nicht böse war. Er mißbrauchte die Gabe nicht, die der Große Geist ihm verliehen hatte.
Oder war all dies nur Täuschung?
Die schwarze Haut, dunkler als die Nacht, ließ ihn wie den Geist aus einem bösen Traum erscheinen. Was er redete, war Tamote unverständlich, aber er verstand ebensowenig die Sprache des dicken Mannes mit den roten Gesichtshaaren. Es klang wie dummes Geplapper ohne jeden Sinn, so, als würden kleine Kinder vor sich hin brabbeln. Aber wenn man genauer hinhörte, wiederholten sich viele Laute in einem ganz bestimmten Rhythmus.
Es war eine fremde Sprache.
Vielleicht die der
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