DIE MEROWINGER: Schwerter der Barbaren
Vater, so haben es alle meine Ahnen gehalten. Sobald ich durch das Tor dort einziehe, bin ich Herr dieser Stadt – und wer in ihr Feuer legt, schadet mir! Wer meine neuen Untertanen beraubt und schändet und umbringt, schadet mir! Und wer mir schadet, der wird es büßen! Habt ihr verstanden? Ist das in eure Schädel gedrungen? Oder muss ich es erst hineinschlagen – mit einem Hieb dieser Axt?«
Die zornige Rede wurde mit ebenso zornigem Schweigen quittiert. Ungute, trotzige Blicke trafen den König. Die Reihen der übermüdeten, mit Wunden bedeckten, reizbaren Kämpfer schienen bedrohlich zusammenzurücken.
Chlodwig begriff, dass er zu weit gegangen war.
»Damit habe ich nicht gesagt, dass ihr keine Beute machen sollt!«, fuhr er einlenkend fort. »Ihr habt recht, eure Arbeit verdient ihren Lohn. Aber wenn ihr von Haus zu Haus geht, nehmt nur so viel, wie sie entbehren können. Lasst ihnen genug zum Leben! Und wenn ich sagte: ›Bringt die Männer nicht um!‹, dann meine ich damit nur die freien, besonders die vornehmen. Die sind es nämlich, die wir brauchen. Auch ihre Frauen lasst in Ruhe – haltet euch an die Mägde, mit denen macht, was ihr wollt! Und wenn ihr unbedingt jemanden totschlagen oder verprügeln müsst, nehmt euch einen Sklaven vor. Aber seid nicht zu verschwenderisch … auch die Sklaven werden gebraucht. Ihr wollt doch künftig wie Herren leben – wer soll euch dienen? Das war es, was ich euch sagen wollte«, schloss er rasch, wobei er die Axt hinter den Gürtel steckte. »Wir rücken jetzt ein und marschieren zuerst zum Palast. Dann besetzen wir alle wichtigen Punkte, besonders die Mauer und die Türme und Tore. Syagrius ist natürlich geflohen, aber wir wissen nicht, ob er nicht noch Reserven hat. Man muss damit rechnen …«
In diesem Augenblick schrien gleich mehrere auf und deuteten aufgeregt nach der Festungsmauer.
»Feuer! Sie haben Feuer gelegt!«
Kapitel 4
Der Einzug des Königs von Tournai und seines Gefolges in der eroberten Hauptstadt des römischen Restreichs in Gallien war alles andere als feierlich. Gleich aus der ersten Gasse hinter dem Tor quoll der schwarze Rauch. Die Pferde scheuten.
Chlodwig saß ab und drang zu Fuß vor, den Ärmel des Kittels zum Schutz vor dem beißenden Qualm an das Gesicht pressend.
Den Frauenleichnam, der gleich am Eingang der Gasse auf dem Pflaster lag, bemerkte er nicht. Er stolperte, fiel, raffte sich fluchend auf, rannte weiter.
Dann lichtete sich das Rauchgewölk, das ein kräftiger Wind in die Gasse blies. An deren Ende stand ein brennendes Haus, dessen oberstes, ganz aus Holz errichtetes Stockwerk schon fast zerstört war. Gerade löste sich der Balkon und stürzte herab.
Ein Mann, der ein Kind an sich presste, sprang unten in der Toreinfahrt aus den Flammen und wurde getroffen. Vergebens suchten sich Mann und Kind unter den brennenden Trümmern hervorzuarbeiten. Das Haus stand am Rande eines kleinen Platzes, der voller Männer war. Doch keine Hand rührte sich zur Rettung der beiden. Johlendes Gelächter war die einzige Belohnung ihrer verzweifelten letzten Anstrengungen.
Die Männer waren Franken aus Cambrai. Breitbeinig saß König Ragnachar auf einem Weinfass, seinen Kinäden an der Seite.
Der forsche Richar, sein Bruder, fuchtelte mit dem Schwert und kommandierte mit bellender Stimme die Leute, die bereits in das nächste Haus eindrangen.
In der Mitte des Platzes war Beutegut aufgehäuft: Teppiche, Kleidungsstücke und Schuhe, Statuen, Spiegel, Leuchter, Werkzeuge, Haushaltsgeräte. Überall lagen Fässer und Krüge herum, zum Teil schon geleert und zerbrochen. Eines der geplünderten Häuser war eine Weinschenke gewesen.
Ein verschüchtertes Häuflein fast aller Kleider beraubter Stadtbewohner drängte sich um einen Brunnen und versuchte, eine Frau herauszuziehen, die betrunkene Franken hineingestoßen hatten.
Immer dichtere Rauchschwaden waberten über den Platz.
Chlodwig war unbemerkt aus der Gasse getreten. Er sah sich das alles schweigend an, eine Faust geballt, die andere am Stiel seiner Axt. Dann ging er langsam auf Ragnachar zu.
Der dicke, langhaarige König amüsierte sich über die beiden Hilflosen unter den brennenden Balkontrümmern. Erst als Chlodwig fast vor ihm stand, wurde er auf ihn aufmerksam.
Er erschrak ein wenig, sagte aber gleich heiter: »Vetter Chlodwig! Was für ein K-K-Kampf! Was für ein g-glorreicher Sieg! Du musst erschöpft sein, Vetter. Trink etwas, der Wein ist vorzüglich. F-F-Farro,
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