DIE MEROWINGER: Schwerter der Barbaren
und sogar Möbel fort.
Während es ruckweise vorwärtsging in Richtung des Tors, verbargen sich Syagrius und Leunardus anfangs hinter dem halb geschlossenen Vorhang des Wagens. Aber dann wurden sie doch erkannt.
Ein Zornesgewitter entlud sich von allen Seiten auf ihre Häupter. Sie wurden bezichtigt, die Katastrophe leichtfertig verursacht, das Gemeinwesen sehenden Auges ins Verderben geführt zu haben. Dieselben Damen und Herren, die den Patricius am Abend zuvor als Schirm und Schutz seines Volkes und Retter des Vaterlands gepriesen hatten, begeiferten ihn jetzt als Versager, Prasser und Möchtegern-Kaiser.
Ein fetter Kahlkopf mit Ringen an allen zehn Fingern trat an den Wagen und brüllte: »Ruiniert hast du mich, du Hund! Sicherheit hast du uns versprochen! Die Steuern hast du ständig erhöht, angeblich um Truppen anzuwerben. Da hast du dein unbesiegbares Heer! Einen Sauhaufen hast du angeworben! Was bleibt mir jetzt noch mit Ausnahme dessen, was ich am Leibe trage? Mein Geld habe ich für dein Wohlleben ausgegeben. Meine Häuser, mein Gut – das alles gehört jetzt den Franken. Was habe ich vor mir? Ein Leben als Flüchtling, als Bittsteller bei Verwandten! Das verdanke ich dir, Verfluchter, und diesem alten Affen, deinem Palastgrafen. Ihr verdient nicht, dass euch die Sonne bescheint. Ich werde euch … werde euch …«
Schon packten behaarte Pranken den Patricius am Arm und am Hals.
Nur der Umstand, dass die Pferde im selben Augenblick anzogen, bewahrte ihn vor der Wut des Mannes.
Der sprang zurück, glitt aus und wurde vom nächsten Gespann überfahren. Da waren plötzlich zwei Kerle über ihm, die ihre Äxte vom Gürtel rissen. Sie hackten dem Schreienden rasch und geschickt die zehn Finger ab und warfen sie weg, nachdem sie sie von den Ringen befreit hatten.
Auf der Straße ging es nun zügig voran. Eine endlose Wagenkolonne passierte das Tor und rollte in Richtung Reims. Der Umweg war nötig, weil eine direkte und kürzere Verbindung zwischen Soissons und Paris noch nicht existierte.
Syagrius wurde draußen nicht mehr belästigt. Alles war nur noch darauf bedacht, so schnell wie möglich davonzukommen. Für viele war er jetzt bereits eine vergangene Größe, die kaum noch Aufmerksamkeit verdiente. Zwei Meilen hinter der Stadt konnte er unbehelligt in einen seiner eigenen Wagen umsteigen, die Frau Titia rechtzeitig mit der kostbarsten Habe abgeschickt hatte.
Die Franken verfolgten die Fliehenden nicht. Doch hatte keiner von denen, die am Abend zuvor in der Festhalle waren, Chlodwigs Worte vergessen:
»Kampflos – die Hälfte. Sieglos – das Ganze!«
Kapitel 3
Es war in jener Zeit selbstverständlich, dass eine eroberte Stadt den siegreichen Truppen zur Plünderung überlassen wurde. Kein Feldherr konnte wagen, seinen Soldaten das Beutemachen zu verbieten. Oftmals war dies auch der einzige Zweck eines Überfalls oder einer Belagerung.
Die germanischen Haufen, denen städtisches Leben fremd war und die nicht die Absicht hatten, sich in der eroberten Ortschaft niederzulassen, wüteten gewöhnlich mit hemmungsloser Raubgier. Widerstand, auch der geringste, wurde grausam und rücksichtslos bestraft, und manche blühende Stadt war nach dem Durchzug solcher Horden ein von Leichen übersätes, rauchendes Trümmerfeld. Jahre, manchmal Jahrzehnte vergingen, bis ein derart heimgesuchtes Gemeinwesen sich erholt hatte. Und nicht selten war das Leben sogar für alle Zeiten erstorben. So war es jedenfalls in der Anfangszeit der großen Wanderung germanischer Völker.
Eine gewisse Mäßigung trat ein, als die Eroberer sich in den unterworfenen Gebieten niederließen und ihre Anführer das angenehme Leben in städtischen Residenzen zu schätzen begannen. Die Könige und Herzöge untersagten nun die schlimmsten Exzesse, Man zerstörte ja nicht das Haus, in dem man wohnen wollte.
Auch die Rachsucht der Beraubten und Geschundenen, mit denen man künftig innerhalb der Stadtmauern zusammenleben wollte, durfte nicht unterschätzt werden. Alles in allem war es sogar von Interesse für die Eroberer, die Sympathie eines möglichst großen Teils der Bevölkerung zu gewinnen, ganz besonders des kultivierten, begüterten und einflussreichen. Es war wichtig zu beweisen, dass man imstande war, das Leben in der eroberten Stadt zu gewährleisten und in Gang zu halten und nicht schlechter zu regieren als der frühere Machthaber. Diese Kunst, die die Römer in hohem Maße beherrschten, erlernten allmählich auch die
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