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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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und solange ihr lebt, auch dort im Hades statt zweien einer seid, vereint im Tod.« Ich erinnere mich vor allem an die letzten Sätze: »Der Grund dafür ist, daß dies unsere ursprüngliche Natur war: einst waren wir ein Ganzes. So heißt nun das Verlangen und das Streben nach der Ganzheit ›Eros‹.« Dieses Buch hatte die Menschen der westlichen Welt und dann die gesamte Menschheit verdorben, hatte ihr einen Widerwillen vor ihrem Dasein als rationales Tier eingeflößt und einen Traum bei ihr erweckt, von dem sie sich über zweitausend Jahre lang zu befreien versucht hat, ohne daß es ihr je völlig gelungen ist. Die christliche Lehre und selbst Paulus mußten sich vor dieser Macht beugen. »Das Fleisch der beiden soll eins werden; das ist ein großes Geheimnis, das sage ich in bezug auf Christus und die Kirche.« Diese unheilbare Sehnsucht nach der Liebe war sogar noch in den letzten menschlichen Lebensberichten präsent. Als ich das Fragment wieder zusammenfalten wollte, zerbröselte es mir in den Fingern; ich verschloß den Behälter und legte ihn wieder auf die Erde. Ehe ich weiterging, verweilten meine Gedanken noch einmal bei Marie23, die noch so menschlich, so zutiefst menschlich war; ich rief mir das Bild ihres Körpers, den ich nicht mehr kennenlernen würde, in Erinnerung zurück. Plötzlich erfüllte mich ein unruhiges Gefühl: Die Tatsache, daß ich ihre Nachricht gefunden hatte, konnte nur bedeuten, daß einer von uns beiden vom Weg abgekommen war.
    Die einförmige, weiße Oberfläche bot keinerlei Anhaltspunkt, aber da war noch die Sonne, und nachdem ich kurz die Ausrichtung meines Schattens analysierte, stellte ich fest, daß ich tatsächlich zu weit nach Westen gegangen war, ich mußte jetzt in südliche Richtung abbiegen. Ich hatte seit zehn Tagen nichts getrunken, war nicht mehr imstande, mich zu ernähren, und diese kleine Unaufmerksamkeit konnte sich tödlich auswirken. Ehrlich gesagt, litt ich kaum, die Schmerzen hatten nachgelassen, aber ich fühlte mich äußerst müde. Der Überlebensdrang existierte auch noch bei den Neo-Menschen, er war nur abgeschwächt; ich verfolgte ein paar Minuten lang, wie er in mir mit der Müdigkeit kämpfte, wobei ich genau wußte, daß er letztlich die Oberhand behalten würde. Mit langsamerem Schritt machte ich mich wieder auf den Weg.
    Ich marschierte den ganzen Tag und die folgende Nacht, orientierte mich an den Sternen. Drei Tage später entdeckte ich in den frühen Morgenstunden die ersten Wolken. Ihre seidige Oberfläche wirkte wie eine leichte Wölbung des Horizonts, ein Beben des Lichts, und ich glaubte zunächst an eine Sinnestäuschung, aber als ich näher kam, erkannte ich deutlich, daß es sich um Haufenwolken von schöner mattweißer Farbe handelte, deren spiralförmige Türme so unbeweglich waren, daß sie geradezu übernatürlich wirkten. Gegen Mittag erreichte ich die Wolkenschicht und sah das Meer vor mir liegen. Ich hatte das Ziel meiner Reise erreicht.
    Diese Landschaft ähnelte im Grunde kaum einem Ozean, wie ihn die Menschen gekannt hatten; es war eine Kette von Tümpeln und Seen mit fast unbeweglichem Wasser, die durch Sandbänke getrennt waren; alles war in gleichmäßiges, glitzerndes Licht getaucht. Ich hatte nicht mehr die Kraft zu rennen, und so ging ich taumelnd der Quelle des Lebens entgegen. Der Mineralgehalt der ersten seichten Tümpel war sehr schwach, dennoch nahm mein ganzer Körper das salzige Bad dankbar auf; ich hatte das Gefühl, als würde ich von Kopf bis Fuß von einer nahrhaften, wohltuenden Welle durchlaufen. Ich verstand, was in mir vor sich ging, und konnte den Prozeß fast spüren: Der osmotische Druck wurde wieder normal, die Stoffwechselreaktionen kamen wieder in Gang und erzeugten das für das Funktionieren der Muskeln notwendige ATP sowie die Proteine und Fettsäuren, die für die Neubildung von Zellen erforderlich waren. Es war, als ob ein Traum nach einem angsterfüllten Erwachen weiterginge oder als ob die Maschine befriedigt aufseufzte.
    Zwei Stunden später stand ich auf, nachdem meine Kräfte schon ein wenig wiederhergestellt waren. Luft und Wasser hatten die gleiche Temperatur, die etwa 37 °C betragen mußte, denn ich hatte weder die Empfindung von Wärme noch von Kühle; das Licht war sehr hell, ohne jedoch zu blenden. Der Sand zwischen den Tümpeln war mit nicht sehr tiefen Mulden übersät, die wie kleine Gräber wirkten: Ich legte mich in eine der Mulden; der Sand war lauwarm und seidenweich. Und da

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